Haus der deutschen Sprache
Deutsch - gestern und heute

Ostdeutsch = Westdeutsch?

Von Monika Elias

Deutschland feierte am 9. November 2009 das zwanzigjährige Jubiläum des Mauerfalls. Die deutsch-deutsche Grenze ist seither vielerorts zum Grünstreifen geworden. Eine andere Grenze scheint aber noch zu bestehen, die zwischen der Sprache in der ehemaligen DDR und der in der alten Bundesrepublik.

Duden BRD, 1967 Die beiden unterschiedlichen Duden-Ausgaben, die von 1954 bis 1986 in Mannheim und Leipzig herausgegeben wurden, lassen Rückschlüsse auf Unterschiede im Wortschatz zu. Die nach der Wende in Mode gekommenen “Wörterbücher“ wie “Trabbi (Trabi), Telespargel und Tränenpavillon. Das Wörterbuch der DDR-Sprache“ sorgen jedoch für einen generalisierenden Eindruck, was Vorurteile schürt. Das Deutsch in der ehemaligen DDR war keine eigene Sprache, denn die Grammatik blieb in West und Ost gleich. Duden DDR, 1967
Duden BRD, 1967 Duden DDR, 1967

Nicht erst seit bekannten Filmen wie Sonnenallee oder Goodbye Lenin stehen Begriffe wie “Jahresendfigur mit Flügeln“ (Weihnachtsengel), “rauhfutterverzehrende Großvieheinheit“ (Kuh) oder “Textilverbundelement“ (Knopf) vor allem für ein unverständliches Wirtschaftssystem in der DDR. Dabei wurden die genannten Begriffe vermutlich nie im Alltag verwendet, sondern waren entweder satirische Erfindungen oder entstammten der Behördensprache.

In Westdeutschland zitierten viele große Zeitungen „Jahresendfigur mit Flügeln“ als Beispiel für (angeblich) typischen DDR-Wortschatz. Übersehen wird dabei, dass es in Westdeutschland ähnliche Wortungetüme gibt, die im alltäglichen Sprachgebrauch nicht vorkommen, etwa “raumübergreifendes Großgrün“ (Baum) oder “nicht
lebende Einfriedung“ (Zaun). Begriffe dieser Art stammen aus dem Amtsdeutsch.

Trotzdem gibt es Wörter, die – unabhängig von dort gesprochenen Dialekten – nur in der ehemaligen DDR existierten. Sie entstanden zum Beispiel aus Namen von Firmen oder Verfahren, wie Kaufhalle (Supermarkt) oder Dederon (Chemiefaser, Kunstwort aus der Abkürzung DDR). Der “Broiler“ und die “Datsche“ haben es heute in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Viele Produktnamen aus dem Westen waren geschützt, deshalb gab es in der DDR “Margonwasser“ anstatt “Selterwasser“ oder “Gothaplast“ an Stelle von “Hansaplast“. Hansaplast
 Gothaplast

Besonders viele neue Wortschöpfungen entstanden im öffentlichen politischen Sprachgebrauch. Aus ideologischen Gründen hieß die Berliner Mauer “Antifaschistischer Schutzwall“, ein Spion war ein “Kundschafter des Friedens“ und die SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) war die “Partei der Arbeiterklasse“. Ein weiteres Merkmal für den politischen Sprachgebrauch im Osten sind Floskeln wie die “ökonomische Hauptaufgabe lösen“ oder “konsequent parteilich“. Ebenso häufig waren Attribute wie “sozialistisch“ oder “allseitig“. Inwieweit die DDR-Bürger diese Wörter tatsächlich im privaten Sprachgebrauch nutzten, lässt sich nicht mehr genau abschätzen.

Dieser Text erschien zuerst in den Sprachnachrichten (44/2009). Wir danken der Autorin und der Zeitschrift für die Genehmigung, ihn in das HDS zu übernehmen.