Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats März 2013

Rotkäppchen
Rita Deuchler – 2012

Ein Mädchen einst, mit roter Kappe,
trifft auf den Wolf mit großer Klappe.
Sie bringt der Oma Wein und Kuchen,
geht durch den Wald die Blumen suchen.

Der Wolf, weil er so hungrig war,
frisst die Oma auf mit Haut und Haar.
Legt sich ins Bett mit Phantasie –
Rotkäppchen, er erwartet sie –

Großmutter, was für große Ohren?
Wurdest du wirklich so geboren?
Und deine Augen, ja dein Maul?
Der Wolf frisst sie, dann wird er faul.

Der Jäger, der das Schnarchen kennt,
spürt, dass der Wolf im Bett wohl pennt;
rettet das Mädchen und die Oma,
der Wolf fällt in ein tiefes Koma.

Und die Moral von der Geschicht´:
Vertraust du, was du wahrnimmst nicht,
dann wird das Leben schnell zur Falle –
ja, achtsam sein, gilt für uns alle.

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Rotkäppchen, Illustration von Carl Offterdinger

Der Inhalt des Gedichtes und des Märchens ist den meisten Kindern und Erwachsenen vertraut: Ein Mädchen mit roter Kappe besucht seine kranke Großmutter, die im Wald lebt. Ein Wolf kommt in böser Absicht zum Haus und frisst erst die Großmutter und dann das Rotkäppchen.

Das Ende des Märchens variiert in den unterschiedlichen Fassungen. Nach der Erzählung von Charles Perraul endet das Märchen an dieser Stelle. Die Brüder Grimm finden eine positives Ende und lassen die Großmutter und das Rotkäppchen von einem Jäger aus dem Bauch des Wolfes befreien. In der italienischen Version befreit sich das Rotkäppchen selbst und läuft weg.

Die erste verschriftliche Version des Märchens entspricht wahrscheinlich der von Charles Perraults „Le Petit Chaperon rouge“. Der französische Schriftsteller lebte im 17. Jahrhundert in Paris. Dort sammelte er Märchen in der Sammlung „Contes de Fées“. Von ihm erfuhr auch die Familie Hassenpflug von den Märchen. Die in Hessen lebende Familie hatte französische Wurzeln. Insbesondere Johanna und Marie Hassenpflug waren mit Jacob und Wilhelm Grimm befreundet. Viele Märchen, welche die Brüder Grimm in die Hausmärchen aufnahmen, stammen aus den Erzählungen der beiden Frauen. So auch „Rotkäppchen“, das als Märchen Nr. 26 in den ersten Band der „Kinder- und Hausmärchen“ von 1812 Einzug fand.

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Doppelporträt der Brüder Wilhelm Grimm (links) und Jacob Grimm von Elisabeth Jerichau-Baumann, 1855

Das Märchen wurde häufig bearbeitet, interpretiert und auch parodiert. Eine aktuelle Bearbeitung ist das Gedicht „Rotkäppchen“ von Rita Deuchler. Sie erzählt das Märchen in fünf Strophen mit jeweils vier Versen und verkürzt es. Insbesondere die grauenerregenden Darstellungen des Todes der Großmutter, des Rotkäppchens und des Wolfes werden reduziert.

An der ersten Stelle im Vers jeder Strophe wird einer der Protagonisten genannt. In Strophe eins wird das Rotkäppchen eingeführt, in der zweiten der Wolf. Darauf folgen in der dritten Strophe die Großmutter und anschließend der Jäger.
Das Gedicht im Paarreim schließt mit einer Moral. Appelliert wird an die Achtsamkeit und daran, sich auf die eigene Wahrnehmung zu verlassen.

In bereits 17 Film- und Fernsehproduktionen ist das Märchen interpretiert worden. Hinzu kommen Opern und Theaterstücke. Auch in der Werbung ist das Motiv des Mädchens mit der roten Kappe vertreten. Zu den bekanntesten Produkten gehört der Rotkäppchen-Käse und der gleichnamige Sekt. Die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien greifen die charakteristische rote Kappe im Verschluss der Flasche auf.

Foto Rita Deuchler
Rita Deuchler wird am 03.Oktober 1954 in Aschersleben geboren. Sie wächst zusammen mit ihrer Schwester Christel im elterlichen Haus auf. Sich selbst beschreibt sie als „fröhliches Herbstkind“, das schon früh seine Liebe zur Natur entdeckt. Schreiben und Lesen spielt in ihrer Kindheit und Jugend keine übergeordnete Rolle, sie zieht es vor, draußen im Freien zu toben. In ihrer Familie nimmt Literatur eine alltägliche Rolle ein; Mutter und Schwester lesen viel.

Nachdem sie 1973 das Abitur erlangt studiert sie Arbeitssoziologie in Berlin. Dieses Studium entspricht nicht ihren Ansprüchen. Nachdem sie 1975 heiratet führt sie ihr Studium in Dresden fort. In Sachsen kommen 1978 und 1980 ihre beiden Töchter zur Welt, die fortan ihr Leben bestimmen. Ihre Rolle beschreibt sie als „berufstätige Mutti und Ehefrau“. In dieser Zeit findet Rita Deuchler wenig Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse. Bei einer Kur 1998 kann sie sich auf sich selbst besinnen und entdeckt das Schreiben für sich. „Die ersten Reime waren noch ungestüm, es war eben der Anfang“, beschreibt sie ihre ersten lyrische Versuche. Mit der Zeit entwickelt sie immer mehr Freude an der Literatur und schreibt regelmäßig. 2005 tritt sie eher zufällig mit dem Lyrikverein Mühlau e.V. in Kontakt, der es ihr ermöglicht, ihre Literatur erstmals einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Es folgt die Zusammenarbeit mit dem Verlag Edition Freiberg und 2009 veröffentlicht Rita Deuchler ihren ersten Kalender mit lyrischen Texten. Unter anderem enthalten ist das Gedicht „Vergleiche“. Sie beschreibt die Auseinandersetzung mit Goethe und zunächst eine Distanzierung zu diesem literarischen Vorbild. Diese wandelt sich, als sie Goethes Lyrik rezipiert und von den Reimen ergriffen ist. Sie definiert ihr „Ziel – moderner Goethe sein“.

 

Vergleiche
Ich wollte nie ein Goethe sein –
mich nur an meinen Zeilen freu’n,
als ich mich näher mit befasst
und ich bei einer Lesung Gast –

da habe ich dann festgestellt
auch Goethe es mit Reimen hält –
auch er fand manchen schlichten Reim –
mein Ziel – moderner Goethe sein!

2012 publiziert sie die Gedichte „Hans im Glück“, „Rumpelstilzchen“, „Schneewittchen“, „Es war einmal…“ und das bereits erwähnte Gedicht „Rotkäppchen“ in der vierten großen Anthologie des Edition Freiberg Verlags „Es war einmal… . Und manche, die gestorben sind, leben heute noch“. „Mir waren als Kind viele Märchen zu brutal“ erklärt Rita Deuchler. In ihren Gedichten reduziert sie die drastischen Formen der Böswilligkeiten und verkürzt die Inhalte für Kinder. Von Lesungen weiß sie aber auch, dass ihre gereimten Märchen „auch Erwachsene zum Schmunzeln bringen können“.

Heute lebt Rita Deuchler in Chemnitz und ihr Fundus an Gedicht wächst. Als zentrale Themen beinhalten die Gedichte ihre Naturverbundenheit und Lebenserfahrungen. „Ich schreibe, wenn es möglich ist, zu jedem Anlass, bringe in Reimen Dinge auf den Punkt und nehme Bücher, Seminare, Veranstaltungen und Geschichten zum Anlass, diese in Reimen zu komprimieren.“

 

Quellen: Zitate stammen aus einem Interview im Februar 2013. Alle Bilder sind gemeinfrei aus der Wikipedia (Artikel Rotkäppchen und Brüder Grimm)