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Peter Eisenberg – Das Fremdwort im Deutschen

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Als „Laienlinguisten“ bezeichnet die Sprachwissenschaft Menschen, die sich im Alltag kritisch mit ihrer Sprache auseinandersetzen. Das ist gar nicht abwertend gemeint: Laienrichter oder Laienpriester erledigen ihre Aufgaben zwar nicht professionell, aber mit einer Menge Fachwissen. „Laienlinguistik“ dreht sich heute meist um den Einfluss des Englischen. Beim Fremdwort berührt die Sprachwissenschaft die Öffentlichkeit. Beeindruckt von diesem Interesse erschienen zahlreiche Studien über die Häufigkeit von Anglizismen, die Themenbereiche und über Verständnisschwierigkeiten. Trotz dieser Erklärungsversuche kommen Sprachwissenschaftler und Laien nicht zusammen.

Nun hat der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg ein Buch geschrieben, mit dem er dieser verfahrenen Lage einen Ausweg weisen will. Und wie man es von seinen Arbeiten zur Grammatik gewohnt ist, tut Eisenberg dies auf 440 Seiten, inklusive Wort- und Affix- sowie rückläufigem Wortregister, gründlich.

Eisenberg ist nicht gerade für seine Sorgen vor Sprachverfall bekannt. Seiner Meinung nach schadet die Aufregung über Anglizismen eher dem Ansehen der deutschen Sprache. Aber in seinem Fremdwortbuch schlägt er auch andere Töne an: Die Sprachwissenschaft habe eine „Bringschuld“. Sie müsse den Einfluss des Englischen erklären können und habe sich auf die Sorgen der Sprecher „einzulassen“, um „Ansätze zur Sprachkritik“ zu ermöglichen. Das Kapitel über die „Gebersprache Englisch“ trägt die Überschrift „Die Flut“. Und die stieg in den letzten 50 Jahren beständig: 1954 war jede 600. Wortform ein Anglizismus, zehn Jahre später jede 200. 1994 jede 145., 2004 stammt jede 85. Wortform in der deutschen Pressesprache aus dem Englischen. Allgemein stellt Eisenberg fest, dass „die Sprachkontakte des Deutschen durchaus nicht verarmt“ sind, sich aber „ein wenig vereinseitigt haben“ („vorsichtig ausgedrückt“).

Eisenberg fragt nicht, ob Fremdwörter gut oder schlecht sind, denn „ein Urteil über die Wörter wird in solchen Fällen zum Urteil über die Sprecher.“ Wörter aus anderen Sprachen (auch dem Englischen) sind ein Teil des Deutschen – das ist die (hoffentlich für alle unstrittige) Ausgangsposition. Aber Form und grammatisches Verhalten der Wörter liefern die wichtigsten Anzeichen dafür, ob ein Wort fremd ist oder nicht.

Viele Fremdwörter gehören heute zum Kernwortschatz. Früh entlehnte Substantive wie Meile, Partner, Onkel, Akte, Arzt, Jauche sind lautlich vollkommen eingegliedert, können unauffällig Kasus und Numerus wechseln und sind für alle verständlich. Verben wie streiken, probieren, starten lassen sich in jede Verbform setzen. Kaum jemand käme auf die Idee, die Adjektive krass, nett oder fad als fremd anzusehen, obwohl sie aus dem Lateinischen und Französischen stammen. Denn sie entsprechen dem mustergültigen deutschen Wort. Bei einfachen Substantiven und Adjektiven ist dies eine Grundform mit einer oder mit zwei Silben, wobei die zweite Silbe eine unbetonte Schwachsilbe ist. Verben bestehen aus einem einfachen Verbstamm (z.B. lauf-) und der Infinitivendung -en in der Grundform. Für das Deutsche von überragender Bedeutung ist die Abfolge von betonten und unbetonten Silben – in der Metrik Trochäus genannt.

Andere Wörter erscheinen fremd, weil sie anders betont oder geschrieben werden und weil ihre Bedeutung nicht offensichtlich ist. Diese Wörter müssen nicht einmal einer anderen Sprache entstammen: Kleinod, Bovist, Himbeere oder Efeu sind alte deutsche Wörter – entsprechen aber nicht den typischen Merkmalen der deutsche Wortbildung.

Auch Fremdwörter suchen ihren Platz in diesem System. So wird gezeigt, dass die germanischen Sprachen Englisch und Deutsch eine Tendenz haben, den Hauptakzent eines Wortes auf den Stamm zu platzieren. Deshalb kann das Deutsche viele Typen morphologisch komplexer Anglizismen prosodisch ohne Änderungen übernehmen: Trainer, Partner, Laser usw.

Eisenbergs Arbeit ist der Vorschlag, die Fremdwortdiskussion zu versachlichen. Es ist aber auch eine sorgfältige Arbeit über Fremdwortjagd, über Wörterbücher und Fachterminologien und über die „Gebersprachen“ Lateinisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Englisch. Zwischen den Zeilen spricht die Begeisterung des Wissenschaftlers, hier etwas Beständiges erklären zu können. Und die Verweise auf unzählige Studien über die Eigenschaften von Fremdwörtern zeigen, dass sich der Verfasser seit Jahren akribisch mit dem Thema beschäftigt hat.

Wer bereit ist, sich auch als Laie ein wenig in die sprachwissenschaftliche Terminologie einzuarbeiten, erfährt in diesem Buch viel Wissenswertes über den Aufbau des Wortschatzes, über den Silbenschnitt im Deutschen und seine Wortbildungseigenschaften.

Holger Klatte

Peter Eisenberg:
Das Fremdwort im Deutschen.

(De Gruyter Studium)

Walter de Gruyter, Berlin 2011.
456 Seiten, 29,95 Euro.
ISBN 978-3-11-023564-7