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Geschichte von unten

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Am 2. August des Jahres 1914 trat der Pferdeknecht Heinrich Bartel aus Wathlingen bei Celle in den Ersten Weltkrieg ein. Und führte von da an bis zum Ende des Krieges regelmäßig Tagebuch. Eher aus Zufall wurden dann diese Erinnerungen kurz vor der hundertjährigen Wiederkehr des Kriegsausbruches an den Herausgeber, den Philologen und VDS-Aktiven Klemens Weilandt herangetragen, der nun mit großer Sachkunde und viel Einfühlungsvermögen dieses beindruckende Zeitdokument einer breiten Öffentlichkeit übergibt.

Es lehrt den Leser vielerlei. Zum Beispiel, dass der Deutschunterricht im zweiten Kaiserreich erheblich besser gewesen sein muss als heutzutage; ein einfacher Stallknecht schrieb ein perfektes Deutsch inklusive korrekter Verwendung des Konjunktivs. Das sucht man heute selbst bei Deutschlehrern oft vergeblich. Und dann frappiert aus heutiger Sicht vor allem der kaum nachvollziehbare Gleichmut, mit dem der als Kanonier eingesetzte Bartel seine Erlebnisse, zunächst beim Vormarsch in Belgien, dann in Russland und gegen Ende des Krieges wieder an der Westfront, aufgeschrieben hat: „Am 5. November schlägt ein feindliches Geschoss in den Unterstand am dritten Geschütz ein, schlägt Kanonier Altmann tot und Kanonier Winter wird schwer verwundet“. Oder „am 11. November wird Dornfeld auf der Beobachtung schwer verwundet, rechte Hand ab und Sprengstück im Leib, ist einen Tag später gestorben“.

Gefühle zeigt Bartel aber angesichts der Leiden der Zivilbevölkerung: „Eine alte Großmutter, die kaum noch gehen kann, und eine Frau mit einem Jungen von wohl 6 Jahren wohnen in einem Erdloch, wo einige Bretter ohne Tür oben drauf liegen und ein bisschen Sand darüber. Mehrere kochen sich Suppe von Gras oder Ulmen. Das Elend ist sehr groß.“ Dergleichen Geschichte von unten erhellt oft mehr als gescheite akademische Abhandlungen von oben. Dieses großartige Dokument sagt uns, warum.

Walter Krämer

„… als ob die Hölle los sei“ – Das Tagebuch des Kanoniers Heinrich Bartel 1914–1918, herausgegeben von Klemens Weilandt, Verlag Leuenhagen & Paris, 180 Seiten, 16,99 Euro.

(Beitrag aus VDS-Sprachnachrichten Nr. 66, Juni 2015)