Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats März 2010

 

Linde Lüfte

 

Ludwig Uhland

 

Diese Verse sind FRÜHLINGSGLAUBE überschrieben. Ihr Autor ist der schwäbische Dichter Ludwig Uhland (1787-1862), und als HDS-Gedicht des Monats hat sie Christel A. in Schwalbach vorgeschlagen. Danke! Sie schreibt uns: „Dieses Gedicht gehört zu meinen Lieblingsgedichten, weil es meiner Meinung nach die inneren Sehnsüchte nach einer besseren Welt und hoffnungsvolleren Zukunft auf eine sehr phantasievolle Weise weckt.“

Ja, das tut das Gedicht. Es soll, legt die Überschrift nahe, den Glauben an die alles belebende und verschönernde Kraft des Frühlings ausdrücken. Mit den Sinnen (“Duft“, “Klang“, “Blühen“) hat der Dichter diese Wirkung schon verspürt. Das sagt er nun weiter, in beiden Strophen an sein „armes Herz“. Die Zeit des Leidens, der Winter in wörtlicher oder in bildlicher Bedeutung, ist vorüber. Dass der Frühling „alles wenden kann“, haben vor dem Tübinger Uhland und nach ihm auch andere Dichter freudig begrüßt.

VergissmeinnichtEhe wir uns einigen weiteren Frühlingsgedichten zuwenden, ein kurzer Blick zurück auf den vorletzten Vers: „Nun, armes Herz, vergiß der Qual!“, also nicht „die Qual“ wie zum Beispiel in „Ich habe deine Telefonnummer vergessen“. Damit will Uhland sicher nicht  demonstrieren, dass die Schwaben “alles können außer Hochdeutsch“, sondern dieser Wes-Fall war im 19.Jahrhundert noch durchaus gebräuchlich. Man könnte ihn ‚Trennungs-Genitiv’ nennen oder Genitiv des Nichthabens. – Da gerade vom Frühling die Rede ist: Auch in dem Blümchen “Vergissmeinnicht“, kurz für “vergiss meiner nicht!“, steckt dieser besondere Genitiv (ich, meiner, mir, mich).

Im Norden des deutschsprachigen Raums kannte man diesen besonderen Gebrauch des Wes-Falls ebenfalls. Er war eben “hochdeutsch“. Im XV. Kapitel der Erzählung “Ellernklipp“ von Theodor Fontane (1819-98) heißt es über eine Kindsgeburt: „Hilde war eines Kindes genesen, eines Knäbleins …“.  Noch heute gebrauchen wir diesen Trennungs-Genitiv in einigen Redensarten, z.B. “aller Sorgen ledig“ oder “seines Inhalts beraubt“. Wortspielerisch nennt sich eine Berliner Gaststätte „Bar Jeder Vernunft“.

Zurück zum Frühling im Gedicht. In der HDS-Sammlung von Wintergedichten begegnet man der Gewissheit des kommenden Frühlings als dem Trost in der kalten und kargen Jahreszeit. Lebenserfahrenen Dichtern mag diese Gewissheit genügen, nicht aber kindlicher Ungeduld. Ihr hat der Lübecker Politiker und Dichter Christian Adolph Overbeck (1755-1821) schönsten Ausdruck verliehen. Ohne dieses eine Gedicht aus dem Zyklus “Fritzchens Lieder“ wäre Overbeck heute wohl vergessen. Ihre breite Bekanntheit haben seine Verse sicher auch der genialen Vertonung durch Mozart zu verdanken.

Komm, lieber Mai, und mache
Die Bäume wieder grün!
Und lass mir an dem Bache
Die kleinen Veilchen blühn!
Wie möchte ich so gerne
Ein Blümchen wieder sehn!
Ach, lieber Mai, wie gerne
Einmal spazieren gehen!

Zwar Wintertage haben
Wohl auch der Freuden viel.
Man kann im Schnee eins traben
Und treibt manch Abendspiel.
Baut Häuserchen von Karten,
Spielt Blindekuh und Pfand.
Auch gibts viel Schlittenfahrten
Ins schöne freie Land.

Doch wenn die Vögel singen,
Und wir dann froh und flink
Auf grünem Rasen springen,
Das ist ein ander Ding.
Jetzt muß mein Steckenpferdchen
Dort in dem Winkel stehn.
Denn draußen in dem Gärtchen
Kann man fürwahr nicht gehn.

Am meisten aber dauert
Mich Lottchens Herzeleid.
Das arme Mädchen lauert
Recht auf die Blumenzeit.
Umsonst hol ich ihr Spielchen
Zum Zeitvertreib herbei.
Sie sitzt in ihrem Stühlchen
Wie’s Hühnchen auf dem Ei.

Ach, wenns doch erst gelinder
Und grüner draußen wär!
Komm, lieber Mai, wir Kinder,
Wir bitten gar zu sehr.
O komm! und bring vor allem
Uns viele Veilchen mit!
Bring auch viel Nachtigallen
Und schöne Kuckucks mit! Overbeck

So zahlreich sind die Frühlingsgedichte der Klassiker und Romantiker, dass die folgende kleine Auswahl nicht repräsentativ sein kann.

Eduard Mörike (1804-75) Heinrich Heine (1797-1856)
ER IST’S

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.

Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab’ ich vernommen! Aus:  NEUER FRÜHLING

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite.

Zieh hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn Du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.

An die vielleicht bekanntesten Frühlings-Verse Goethes hatte das HDS bei einem früheren Gedicht des Monats erinnert.

Adelbert von Chamisso (1781-1838) fühlt, dass der Frühling ihn verjüngt, ihm neue dichterische Kraft verleiht:

FRÜHLING
Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,
Es blühen der Blumen genung *).
Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,
Ich fühle so frisch mich, so jung.Die Sonne bescheinet die blumige Au,
Der Wind beweget das Laub.
Wie sind mir geworden die Locken so grau?
Das ist doch ein garstiger Staub.

Es bauen die Nester und singen sich ein
Die zierlichen Vögel so gut.
Und ist es kein Staub nicht, was sollt es denn sein?
Mir ist wie den Vögeln zu Muth.

Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,
Es blühen der Blumen genung.
Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht
Ich fühle so frisch mich, so jung.

Chamisso

*) Diese Variation von “genug“
findet sich in keinerlei Wörterbuch,
scheint aber bis heute immer
wieder einmal gebraucht zu
werden. So jedenfalls “google“.

 

 

Narzissen Kastanienblüte Krokusse

Die Blumen, die laue Luft, die frohen Klänge, die neuen Lieder  – das ist noch nicht alles, wenn es um den Frühling geht. Oft, mal deutlich, mal nur angedeutet, kommt der Hinweis hinzu, dass der Frühling – nicht zufällig sprechen wir auch umgangssprachlich von “Frühlingsgefühlen“ – dass der Frühling die Zeit der Liebe ist.

Mit 22 Jahren schrieb Friedrich Schiller (1759-1805) nicht über, sondern

AN DEN FRÜHLING

Willkommen, schöner Jüngling!
Du Wonne der Natur!
Mit deinem Blumenkörbchen
Willkommen auf der Flur!

Ei! ei! da bist ja wieder!
Und bist so lieb und schön!
Und freun wir uns so herzlich,
Entgegen dir zu gehn. Denkst auch noch an mein Mädchen?
Ei, Lieber, denke doch!
Dort liebte mich das Mädchen,
Und ’s Mädchen liebt mich noch!

Fürs Mädchen manches Blümchen
Erbat ich mir von dir –
Ich komm’ und bitte wieder,
Und du? – du gibst es mir.

Willkommen, schöner Jüngling!
Du Wonne der Natur!
Mit deinem Blumenkörbchen
Willkommen auf der Flur!

 

Kaum zu glauben, dass dieses zarte Gedicht in genau dem Jahr (1781) entstanden ist, in dem Schillers hartes Sturm-und-Drang-Drama „Die Räuber“ erstmals (und vorsichtshalber anonym) veröffentlicht wurde.

Für Uhland, den Verfasser des HDS-Monatsgedichts (siehe oben), bringt der Frühling in einem anderen Gedicht beides zugleich, Liebe und Lieder: DER UNGENANNTEN widmet er diese Frühlingsverse:

Auf eines Berges Gipfel
Da möcht ich mit dir stehn,
Auf Täler, Waldeswipfel
Mit dir herniedersehn;
Da möcht ich rings dir zeigen
Die Welt im Frühlingsschein,
Und sprechen: wärs mein Eigen,
So wär es mein und dein.In meiner Seelen Tiefen,
Oh sähst du da hinab,
Wo alle Lieder schliefen,
Die je ein Gott mir gab!
Da würdest du erkennen:
Wenn Echtes ich erstrebt,
Und mags auch dich nicht nennen,
Doch ist’s von dir belebt.

Nicht über den Frühling oder an den Frühling, sondern als Frühling dichtete die Galizien-Deutsche Mascha Kaleko (1907-75):

DER FRÜHLING

Mit duftenden Veilchen komm ich gezogen,
Auf holzbraunen Käfern komm ich gebrummt,
Mit singenden Schwalben komm ich geflogen,

Auf goldenen Bienen komm ich gesummt.
Jedermann fragt sich, wie das geschah:
Auf einmal bin ich da!

Etwas müde der poetischen Verherrlichung des Frühlings fern der Städte (wieder so ein Genitiv der Trennung) wirkt Erich Kästner (1899-1974). In dem bekannten Gedicht aus “Doktor Erich Kästners Lyrische[r] Hausapotheke“ (1936) sieht er alles etwas nüchterner, doch nicht gefühllos:

BESAGTER LENZ IST DA

Es ist schon so. Der Frühling kommt in Gang.
Die Bäume räkeln sich. Die Fenster staunen.
Die Luft ist weich, als wäre sie aus Daunen.
Und alles andre ist nicht von Belang.
Nun brauchen alle Hunde eine Braut.
Und Pony Hütchen *) sagte mir, sie fände **):
die Sonne habe kleine, warme Hände
und krabble ihr mit diesen auf der Haut.

Die Hausmannsleute stehen stolz vorm Haus.
Man sitzt schon wieder auf Caféterrassen
und friert nicht mehr und kann sich sehen lassen.
Wer kleine Kinder hat, der fährt sie aus.

Sehr viele Fräuleins haben schwache Knie.
Und in den Adern rollt’s wie süße Sahne.
Am Himmel tanzen blanke Aeroplane.
Man ist vergnügt dabei. Und weiß nicht wie.
Man sollte wieder mal spazierengehn.
Das Blau und Grün und Rot war ganz verblichen.
Der Lenz ist da! Die Welt wird frisch gestrichen!
Die Menschen lächeln, bis sie sich verstehn.

Die Seelen laufen Stelzen durch die Stadt.
Auf dem Balkon stehn Männer ohne Westen
und säen Kresse in die Blumenkästen.
Wohl dem, der solche Blumenkästen hat!

Die Gärten sind nur noch zum Scheine kahl.
Die Sonne heizt und nimmt am Winter Rache.
Es ist zwar jedes Jahr dieselbe Sache,
doch ist es immer wie zum erstenmal.

*) das Mädchen aus „Emil und die Detektive“
**) Korrekt wäre “finde“. Aber Kästner brauchte halt dringend einen Reim zu “Hände“.

Gut dreißig Jahre später, in seinem Album “Ich wollte wie Orpheus singen [1967]“ besingt auch der junge, inzwischen berühmte Berliner Liedermacher Reinhard Mey (* 1942), Mitglied im Beirat der „Stiftung Deutsche Sprache“, der Trägerin des HDS, den

FRÜHLING IN DER GROSSSTADT

Der rote Backstein in den Hinterhöfen
Blüht Purpur heut im ersten Frühlingslicht,
Nur wenig Feuer glimmt noch in den Öfen
Und zweigig sprießt es, Grünes aus den Bäumen bricht.

Vom Kinderspielplatz an der Straßenecke
Tönt laut der Lärm der Ungezwungenheit,
Und auf der Bank dort an der Fliederhecke,
Vergessen Rentner ihre Wintereinsamkeit.

Die Mädchen tragen ihre Mäntel offen
Und Männer wagen einen schnellen Blick.
In allen Augen blüht ein neues Hoffen
Auf Liebe und ein kleines Stückchen Glück.

Vom Blumenladen grade gegenüber
Hab‘ ich die erste Tulpe mitgebracht.
Ich schenk‘ sie dir, ich weiß, du freust dich drüber,
Weil in der großen Stadt schon eine Blume Frühling macht.

                  Frühlingsboten

Mit diesen Frühlingsgedichten  beschließt das HDS seinen poetischen Zyklus der Jahreszeiten (siehe Sommer, Herbst und Winter).

Einer der großen unter den Dichtern der “Romantik“ war Clemens Brentano (1778-1842). In knappen acht Versen bringt er unter, was ihm die vier Jahreszeiten bedeuten. Der Frühling, im ersten und dann wieder im letzten Vers, ist ihm Ausgangspunkt und Ziel:

Frühling soll mit süßen Blicken
Mich entzücken und berücken,
Sommer mich mit Frucht und Myrthen
Reich bewirten, froh umgürten.Herbst, du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben,
Mich verderben, Frühling erben.
Clemens Brentano