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Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Januar 2012

Die Bank

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)

Im Parke weiß ich eine Bank,
Die schattenreichste nicht von allen,
Nur Erlen lassen, dünn und schlank,
Darüber karge Streifen wallen;
Da sitz‘ ich manchen Sommertag
Und laß mich rösten von der Sonnen,
Rings keiner Quelle Plätschern wach,
Doch mir im Herzen springt der Bronnen.

Dies ist der Fleck, wo man den Weg
Nach allen Seiten kann bestreichen,
Das staub’ge Gleis, den grünen Steg,
Und dort die Lichtung in den Eichen:
Ach manche, manche liebe Spur
Ist unterm Rade aufgeflogen!
Was mich erfreut, bekümmert, nur
Von drüben kam es hergezogen.

Du frommer Greis im schlichten Kleid,
Getreuer Freund seit zwanzig Jahren,
Dem keine Wege schlimm und weit,
Galt es den heil’gen Dienst zu wahren,
Wie oft sah ich den schweren Schlag
Dich drehn mit ungeschickten Händen,
Und langsam steigend nach und nach
Dein Käppchen an des Dammes Wänden.

Und du in meines Herzens Grund,
Mein lieber schlanker blonder Junge,
Mit deiner Büchs‘ und braunem Hund,
Du klares Aug‘ und muntre Zunge,
Wie oft hört‘ ich dein Pfeifen nah,
Wenn zu der Dogge du gesprochen;
Mein lieber Bruder warst du ja,
Wie sollte mir das Herz nicht pochen?

Und manches was die Zeit verweht,
Und manches was sie ließ erkalten,
Wie Banquos Königsreihe geht
Und trabt es aus des Waldes Spalten.
Auch was mir noch geblieben und
Was neu erblüht im Lebensgarten,
Der werten Freunde heitrer Bund,
Von drüben muß ich ihn erwarten.

So sitz‘ ich Stunden wie gebannt,
Im Gestern halb und halb im Heute,
Mein gutes Fernrohr in der Hand
Und laß es streifen durch die Weite.
Am Damme steht ein wilder Strauch.
O, schmählich hat mich der betrogen!
Rührt ihn der Wind, so mein‘ ich auch
Was Liebes komme hergezogen!

Mit jedem Schritt weiß er zu gehn,
Sich anzuformen alle Züge;
So mag er denn am Hange stehn,
Ein wert Phantom, geliebte Lüge;
Ich aber hoffe für und für,
Sofern ich mich des Lebens freue,
Zu rösten an der Sonne hier,
Geduld’ger Märtyrer der Treue.

 

Annette von Droste-Hülshoff wurde im Januar 1797 bei Münster geboren und prägte die deutsche Literatur und Kultur mit Gedichten und Erzählungen, die vor allem den Alltag der einfachen Leute beschreiben. Sie ist eine der wenigen Frauen, deren Portrait es auf einen deutsche Geldschein brachte.

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Die genaue Darstellung der Alltäglichkeit charakterisiert auch das Gedicht „Die Bank“. Erzählt wird in sieben Strophen mit je acht Versen und einem durchgängigen, wenn auch teilweise unreinen Kreuzreim, von der ganz eigenen Schönheit eines Platzes im Park. Zu diesem Platz im Park kommt das lyrische Ich regelmäßig um die Natur zu genießen, zu träumen und auf ganz leichte Weise Beziehungen zu den Menschen aufzubauen, die ebenfalls diesen Park besuchen.

Die besondere, eigene Schönheit dieser Stelle wird in den ersten beiden, sowie der fünften und sechsten, von insgesamt sieben Strophen gezeichnet. Motive der Natur prägen diese Szene. Die Bank, auf der das lyrische Ich so gerne verweilt, ist umgeben von „Erlen“, „Eichen, und wird als „Lebensgarten“ bezeichnet. Mit ihrem „Fernrohr in der Hand“ betrachtet die Verfasserin auch die vorbeiziehenden Menschen. So zeichnen die Strophen drei und vier, die wie alle sieben im Metrum eines vierhebigen Jambus stehen, ein Bild von einem frommen Greis und einem blondem Jungen, der den Park mit Hund und Spielbüchse mit Leben füllt. Zu diesen Personen entwickelt sich im Laufe der Zeit eine ganz individuelle liebevolle Verbindung. Die letzten beiden Strophen ermöglichen dem Leser auch sehnsüchtige und vergängliche Momente zu deuten. Eingeführt wird diese Vergänglichkeit bereits in der fünften Strophe, durch eine Verbindung zu Shakespeares Macbeth, „Wie Banquos Königsreihe geht“. Durch die Bäume und Sträucher, die die zum Verweilen einladende Parkbank umgeben, entsteht im Wind der Eindruck, jemand nähere sich. Diese Erwartung  bleibt jedoch unerfüllt. Aber trotzdem bleibt dieser Ort, diese Bank im Park von besonderer Schönheit.

 

Annette von Droste-Hülshoff, auf dem Wasserschloss Hülshoff geboren, wuchs in einer adeligen Gesellschaft heran.Diese Umfeld ermöglichte ihr eine gute Bildung. Das Vorlesen und Musizieren in Gesellschaft war ihr von Kindheit an vertraut. Allerdings befand sie sich durch ihre Herkunft auch immer im Zwang der gesellschaftlichen Konventionen. Zwar stand Annette von Droste-Hülshoff in Kontakt mit vielen intellektuellen Zeitgenossen wie Adele Schopenhauer, Jacob und Wilhelm Grimm oder August Wilhelm Schlegel, aber auf dem Land langweilte sie sich oft, was sich auch auf ihre Gesundheit niederschlug. Auch in Liebesdingen lebte sie wenig glücklich, Eine gescheiterte Beziehung zum Göttinger Jurastudenten Heinrich Straube hat die Dichterin in ihren geistlichen Liedern verarbeitet. Ihre größte poetische Inspiration fand sie auf der Meersburg am Bodensee. Dort verbrachte sie den Winter 1841/42 bei ihrer Schwester. In Meersburg, wo sie seit 1841 vorübergehend wohnte starb Annette von Droste-Hülshoff auch 1848.

Bekannt ist  heutzutage vor allem die Novelle „Die Judenbuche“, die Geschichte des Friedrich Mergel, der an einer Buche erhängt aufgefunden wird, an einem Ort, an dem Jahre zuvor ein Jude ermordet wurde. Dieses Sittengemälde, das Annette von Droste-Hülshoff mit einer sehr klaren, teilweise karg wirkenden Sprache malt, hat seinen Ursprung in einer wahren Begebenheit. Im Umfeld der Dichterin wurde 1783 der Jude Soestmann-Behrens erschlagen. Der Mörder, der Knecht Johann Georg floh und kehrte nach einer Zeit   der Sklaverei in Algerien zurück und erhängte sich an dem Ort, an dem er den Mord begangen hatte.

 

Portrait Annette von Droste-Hülshoff ist heute eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen. Zu Lebzeiten was sie allerdings lange unterschätzt. Nur wenige Exemplare ihrer Bücher wurden verkauft. Jakob Grimm wurde allerdings derzeit schon auf sie aufmerksam und wusste ihre Werke zu schätzen. Sein Bruder Wilhelm lobte Annette von Droste-Hülshoff für ihr Interesse an westfälischen Volksliedern und Märchen. Als eine Autorin des Biedermeiers bewegt sich Annette von Droste-Hülshoff zwischen Revolution und Restauration. Das für diese Epoche klassische Bild der Flucht ins eigene private Idyll wird ihrem Gedicht „Die Bank“ besonders offenbart.

 


Bildquellen:
de.wikipedia.org; gutenberg.spiegel.de