Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Dezember 2011

Adelbert von Chamisso

Nacht und Winter.

Von des Nordes kaltem Wehen
Wird der Schnee dahergetrieben,
Der die dunkle Erde decket;

Dunkle Wolken zieh’n am Himmel,
Und es flimmern keine Sterne,
Nur der Schnee im Dunkel schimmert.

Herb‘ und kalt der Wind sich reget,
Schaurig stöhnt er in die Stille;
Tief hat sich die Nacht gesenket.

Wie sie ruh’n auf dem Gefilde,
Ruh’n mir in der tiefsten Seele
Dunkle Nacht und herber Winter.

Herb‘ und kalt der Wind sich reget,
Dunkle Wolken zieh’n am Himmel
Tief hat sich die Nacht gesenket.

Nicht der Freude Kränze zieren
Mir das Haupt im jungen Lenze,
Und erheitern meine Stirne:

Denn am Morgen meines Lebens,
Liebend und begehrend Liebe,
Wandl‘ ich einsam in der Fremde.

Wo das Sehnen meiner Liebe,
Wo das heiße muß, verschmähet,
Tief im Herzen sich verschließen.

Herb‘ und kalt der Wind sich reget.
Dunkle Wolken zieh’n am Himmel,
Und es flimmern keine Sterne.

Wie sie ruh’n auf dem Gefilde,
Ruh’n mir in der tiefsten Seele
Dunkle Nacht und herber Winter.

Leise hallen aus der Ferne
Töne, die den Tag verkünden. –
Wird der Tag denn sich erhellen?

Freudebringend dem Gefilde
Wird er strahlen, Nacht entschweben,
Herber Winter auch entfliehen,

Und des Jahres Kreis sich wenden,
Und der junge Lenz in Liebe
Nahen der verjüngten Erde.

Mir nur, mir nur ew’ger Winter,

Ew’ge Nacht, und Schmerz und Thränen,
Kein Tag, keines Sternes Flimmer!

Unterschift

Der Verfasser dieses klassischen Wintergedichts hat Deutsch erst als Fremdsprache gelernt. Er beschreibt hier den letzten Monat des Jahres. Draußen ist es windig und schaurig, es schneit. Die Zeilen

Herb‘ und kalt der Wind sich reget,
Dunkle Wolken zieh’n am Himmel

werden wiederholt. „Ew’ge Nacht, und Schmerz und Thräne“ werden befürchtet. Das „kalte Wehen de Nordes“, die „dunkle Erde“, „ew’ge Nacht, und Schmerz und Thränen“ sind die Schlüsselwörter des Stückes. Thema seiner 14 Terzette ist eine pessimistische Stimmung, die von der Hoffnung auf den immerwährenden Wechsel der Jahreszeiten unterbrochen wird. Zumeist stumpfe Kadenzen schließen die Verse in einem 4-hebigen Trochäus jeweils ab. Dunkle Vokale erzeugen eine kalte Stimmung auf lautmalerische Weise. Der Binnenreim ist teilweise unrein und erfolgt meist in den Endsilben. Nur die Erinnerung an der „Freude Kränze“ im „jungen Lenze“ erheitert den einsam im Schneetreibenden wandelnden Dichter. Diese Sehnsucht nach dem Jahreswechsel wird auch durch den Wechsel zu hellen Vokalen zwischen der 13. und 14. Strophe deutlich.

Adalbert von Chamisso, 1831Der Dichter, der sich hier nach dem Frühling sehnt, ist Adelbert von Chamisso, der als Louis Charles Adélaïde de Chamisso de Boncourt am 30.1.1781 auf Schloss Boncourt (Frankreich) geboren wurde. Seine Familie, allesamt Angehörige eines alten französischen Adelsgeschlechts, floh vor den Revolutionsheeren nach Preußen. Der junge Adelbert wurde Schüler des von den Hugenotten gegründeten Französischen Gymnasiums, ab 1796 stand Chamisso zunächst als Page, dann als Offizier in den Diensten von Königin Luise Friederike. Ab 1804 gab er die Zeitschrift „Musenalmanach“ heraus und wurde seitdem einem größeren Publikum als Dichter bekannt. Es wurde zu einem gern gesehen Gast in den literarischen Salons Berlins.

Einen Namen machte sich  Chamisso vor allem durch seine botanischen und anthropologischen Forschungen. Von 1815 bis 1818 nahm er an der Weltumsegelung des russischen Kriegsschiffes Rurik teil. Leiter der Expedition zur Entdeckung und Erforschung der Nordwest-Passage, war der Deutsch-Balte Otto von Kotzebue. Chamisso kartografierte große Teile der Küste Alaskas. Heute trägt die Chamisso-Insel, eine dem amerikanischen Festland vorgelagert ,kleine Insel nördlich der Beringsee seinen Namen. Von Chamisso stammen die ersten Beschreibungen des Lebens der Eskimos und der Aleuten. Seine vorurteilslosen und humanistischen Darstellungen der Bewohner Hawaiis und Polynesiens zeugen von einem tiefen Interesse für fremde Kulturen und sind noch heute lesenswert. (Bild: Adalbert von Chamisso, 1831)

 

Chamisso Insel Chamisso Insel nördlich der Beringstraße

Seine Erfahrungen als Weltreisender lassen auch einen Schluss auf die bemerkenswert schlechte Stimmung zu, in der sich der Dichter im Stück „Nacht und Winter“ befindet. Denn es wird möglicherweise gar nicht hell an diesem Tag, an dem Chamisso hier die schneebedeckte Erde betrachtet. Er beschreibt den Eindruck der ewigen Nacht des Winters im Polargebiet.

Seine Erinnerungen daran wurden 1836 veröffentlicht, sowie im Jahre 1837 eine Sprachstudie Über die Hawaiische Sprache. Chamisso veröffentlichte 1831 seinen ersten Lyrikband mit älteren Gedichten. Neue Lyrik schrieb er nur noch selten. 1833 verfasste er das Gedicht Der rechte Barbier.

Am 21.8.1838 starb er in Berlin, als bekannter Forscher, Vorsteher des Berliner Herbariums und als  Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Sein Grab Grab befindet sich nur wenige Meter neben dem von E.T.A. Hoffmann.

Frontispitz
Peter Schlehmils wundersame Geschichte – Gestochenes Frontispiz und Titelblatt des Erstdruckes von 1814

Obwohl Deutsch für ihn eine Fremdsprache war, leistete Chamisso als Dichter Großes. Von der Öffentlichkeit als Dichter wahrgenommen wurde er mit der Ballade Das Riesenspielzeug über die Riesen auf der Burg Niedeck im Elsass.

Besonders sein Märchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte (1813/14) gehört heute zur Weltliteratur. Gerade eben ist eine Bearbeitung von Uwe Steimle erschienen. Es ist die Geschichte des Mannes, dem etwas fehlt, was alle anderen gleichsam besitzen. Schlehmil verkauft seinen eigenen Schatten für einen Säckel voll Gold. An wen wohl? An den Teufel – wie sich am Ende herausstellt.

Wohl auf Vorlage dieser Geschichte entstand in der Folge ein volkstümliches Lied, das die Geschichte (verkürzt) wiedergibt:

Es war einmal ein Mensch mit Namen Schlemihl
den sprach einst einer an,
ob er ihm nicht seinen Schatten verkauft?
Er wär alsbald ein reicher Mann!

Nach kurzem Bedenken willigt er ein und bekam einen Beutel zum Lohn
„Dies Säcklein, das wird niemals leer“ sprach der düstre Schattenkäufer voll Hohn
„Ja ich denk ich tat einen guten Tausch“, sagt sich unser Schlemihl alsdann
„ich kauf mir Schloß und Gut und Hof, was fang ich schon mit einem Schatten an?“

Der Herr Schlemihl, der zog in ein and’res Land, kauft sich Schloß und Gut und Hof
und heiraten wollt er dann auch bald, eine Auserwählte gab es schon
Er ging zu seiner Geliebten Haus, fragt „Willst du mich nehmen zum Mann?“
„Drei Tage Bedenkzeit bitt’ ich mir aus, bevor ich Ja sagen kann.“

Doch die Sonne sie schien auf seine Gestalt, und ohne Schatten stand er da
„Niemals nehme zum Manne ich dich, ohne Schatten bist du auch der Seele bar“
In der Tat, Schlemihl hat seinen Schatten verkauft, dabei seine Seele verlor’n
Danach hat man niemals mehr von ihm gehört, und niemand weiß mehr, daß er einst gebor’n.

Schlehmil - Kirchner
Peter Schlehmils wundersame Geschichte (Titelblatt von Ernst Ludwig Kirchner)

Seit 1985 zeichnet die Robert-Bosch-Stiftung im Namen Adelbert von Chamisso Autoren nicht-deutscher Muttersprache für ihre Werke aus. Der Hauptpreis ist mit 15.000 Euro (2007) dotiert. Zu den Preisträgern gehören auch Feridun Zaimoglu (2005) und Rafik Schami (1993).

Adelbert von Chamisso: Reise um die Welt, Leipzig 1836, 1. Band: Tagebuch, 2. Band: Anhang. Bemerkungen und Ansichten (online abrufbar über das Digitalisierungszentrum der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen).

Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Mit 25 zweifarbigen Illustrationen von Franziska Walther. Kunstanstifter Verlag, Mannheim, 2011

Heinz Friedrich (Hrsg.): Chamissos Enkel : Zur Literatur von Ausländern in Deutschland. dtv, München 1986.

Robert Fischer: Adelbert von Chamisso. Weltbürger, Naturforscher und Dichter. Klopp, Berlin 1990.

Beatrix Langner: Der wilde Europäer. Adelbert von Chamisso. Matthes & Seitz, Berlin 2008.

Bildquellen dieses Artikels: Wikipedia (Adalbert von Chamisso, Peter Schlehmils wundersame Geschichte, Chamisso Island)