Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Mai 2012

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz

Wohl rief ich sanft dich an mein Herz,
Doch blieben meine Arme leer;
Der Stimme Zauber, der du sonst
Nie widerstandest, galt nicht mehr.

Was jetzt dein Leben füllen wird,
Wohin du gehst, wohin du irrst,
Ich weiß es nicht; ich weiß allein,
Daß du mir nie mehr lächeln wirst.

Doch kommt erst jene stille Zeit,
Wo uns das Leben läßt allein,
Dann wird, wie in der Jugend einst,
Nur meine Liebe bei dir sein.

Dann wird, was jetzt geschehen mag,
Wie Schatten dir vorübergehn,
Und nur die Zeit, die nun dahin,
Die uns gehörte, wird bestehn.

Und wenn dein letztes Kissen einst
Beglänzt ein Abendsonnenstrahl,
Es ist die Sonne jenes Tags,
Da ich dich küßte zum erstenmal.

Theodor Storm

 

„Wohl rief ich sanft dich an mein Herz“ beschreibt Liebe, Hoffnung, Überdauern und Vergänglichkeit.

In fünf Strophen mit jeweils vier Versen erzählt das lyrische Ich von seinem Versuch und der Hoffnung eine vergangene Liebe weiterzuführen.

Zunächst ruft das lyrische Ich nach der vertrauten Person und doch erscheint sie nicht. Die Gedanken kreisen um die Wege, die diese so nahe stehende Person gehen könnte und bleiben doch immer in einer Blase aus Ungewissheit.

In dieser Situation entsteht ein Hoffen auf eine erneute Vereinigung in einer Zeit, die nicht im Jetzt liegt. Das lyrische Ich hält sich an die Hoffnung auf den Tod als Wiedervereinigung, als ein Anknüpfen an die zuvor gewesene Liebe unter Ausblendung der zu Lebzeiten erfolgten Distanz.

Innerhalb der Strophen ist eine Entwicklung von einer körperlichen Sprache in der ersten Strophen zu einer von Zeit geprägten Sprache in den letzten drei zu erkennen. In einem Dreischritt erfolgt eine Hinwendung von der körperlich, irdischen Ebene und auch der Sprache, die sich in der ersten Strophe durch die Wortwahl „Herz“, „Arme“, „Stimme“ auszeichnet zu einer Ebene der Ungewissheit. Die zweite Strophe erhält ihren Charakter durch die Verben „gehen“, „irren“ „wissen“ bzw. „nicht wissen“ und untermalt damit die Ungewissheit des lyrischen Ichs nach der Trennung von dem Vertrauten. n den Strophen drei bis fünf gewinnt deutlich die zeitliche Ebene an Dominanz in der Sprache.

Die Sonne als Symbol der Hoffnung verbindet die gemeinsame Zeit, die „Jugend“ mit der „stillen Zeit“ und überbrückt dabei das „jetzt“ der Trennung. Obwohl dieses Gedicht eine zumindest punktuell beendete Beziehung beschreibt und dabei den Tod thematisiert, bleibt ein hoffnungsvoller, optimistischer Ton bestehen. Dabei untermalt der durchgängige Jambus in seiner Regelmäßigkeit von Senkungen und Hebungen die Hoffnung.

Theodor Storm
Theodor Storm (1886)

Hans Theodor Woldsen Storm wurde am 14.09.1817 in Husum als Sohn eines Justizrats und einer Patriziertochter geboren und genoss eine liberale Erziehung.

Er besuchte die Grundschule, die Gelehrtenschule und das Gymnasium, wo er durch seine Freundschaft zu Ferdinand Röser sein Interesse an zeitgenössischer Literatur entdeckt; Goethe, Heine und Eichendorff beeindrucken ihn.

1837 beginnt Storm ein Jurastudium und lernt nach einem zeitweiligen Aufenthalt in Berlin 1839 in Kiel Tycho und Theodort Mommsen kennen. Dieser weckt bei ihm eine Leidenschaft an Liedern, Märchen und Sagen, die er von da an auch in einer Sammlung festhält. Drei Jahre später schließt er sein Studium ab und arbeitet bei seinem Vater in der Advokatur in Husum. Überraschend für sein Umfeld verlobt er sich mit seiner Cousine Constanze Esmach und heiratet diese 1844. Die Ehe ist geprägt von der Affäre zu Dorothea Jensen. Diese Prägung kommt auch in Theodor Storms Lyrik zum Ausdruck. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Storm nach dem Tod seiner Frau Constanze, der ihn in eine Lebens- und Schaffenskrise stürzte, er seine damalige Geliebte heiratete lässt erahnen, in wie weit diese Beziehungen das Gedicht „Wohl rief ich dich sanft an mein Herz“ beeinflussen.

1853 emigriert er nach Berlin, wo er mittellos vom Geld seines Vaters lebt und Kontakte zu Fontane, Heyse und Eichendorff knüpft. Mit einer Anstellung als Kreisrichter kann er sich wieder selbst finanzieren und widmet sich immer mehr der Novellistik. Theodor Storms Bekanntheit wächst in dieser Zeit. Der Großteil seiner Novellen entsteht nach seiner Rückkehr nach Husum 1864. Hier stirbt er auch, kurze Zeit nachdem er den „Schimmelreiter“ abschließt am 04.07.1888 an Magenkrebs.

Seine Beerdigung, die auf seinen Wunsch hin ohne kirchlichen Beistand erfolgte, wurde von einer großen Menschenmenge begleitet.

Theodor Storm ist zu den Autoren des Realismus zu zählen.

Noch geprägt durch den Vormärz entwickelt sich im 19. Jahrhundert eine Epoche, die die Gesellschaft als zentralen Gegenstand auffasst. Die Wirklichkeit wird als objektiv aufgefasst und kann künstlerisch wiedergegeben werden. Historische Ereignisse, soziale Umstände und der Konflikt von Individuum und Gesellschaft bilden zentrale Themen. Bei der Wiedergabe bedienen sich die Autoren neben der Objektivität dem Humor und der Detailtreue. Insbesondere die Novelle erlebt in dieser Zeit eine Blütezeit.

Franz Karl Basler-Kopp: Der Schimmelreiter
Franz Karl Basler-Kopp: Der Schimmelreiter

So ist es nicht verwunderlich, dass Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ sein bekanntestes Werk geworden ist. Es erzählt die Geschichte von Hauke Haien, der als Kencht sich durch eine Hochzeit zum Deichgraf in der oberen Gesellschaft etablieren kann. Sein Vorhaben einen neuen Deich zu bauen, stößt bei der Gesellschaft allerdings auf großen Widerstand, zumal die Hauke Haien und seinem Schimmel gegenüber abergläubisch ist. Eine fehlerhafte Konstruktion des Deiches und eine Sturmflut führen letztlich zum Tod der Familie des Deichgrafs.

Storm-Büste im Husumer Schlosspark
Storm-Büste im Husumer Schlosspark

Neben dieser Novelle, die im Schulunterricht immer wieder Anwendung findet, ist Theodor Strom auch durch die Verfilmungen der selbigen, sowie zahlreiche nach ihm benannten Plätze, Straßen, einer Gesellschaft und einer Schule in Husum heute noch präsent.

Bildquellen:
Wikipedia-Artikel Theodor Storm (Foto 1886, gemeinfrei; Storm-Bueste, Foto von Thorsten Schramme, cc-Lizenz) und Schimmelreiter (Gemälde von Franz Karl Basler-Kopp, gemeinfrei).