Haus der deutschen Sprache
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Das Sprachkorsett

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Zu viel Einigkeit hat den Deutschen noch nie gut getan. „Ich kenne keine Parteien mehr…“ war ein folgenschwerer Satz aus dem Jahr 1914 mit verheerenden Auswirkungen. Nazidiktatur und DDR forderten erdrückende Konformität – auch in der Sprache. Wie angenehm war dagegen die kreative Meinungsvielfalt der 60er, 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Welch enorme Meinungsvielfalt ertrug die alte Bundesrepublik Deutschland!

Diese Vielfalt ist uns still und leise abhandengekommen. Wir alle müssen bestimmte Dinge gut finden, andere müssen wir verachten. Wer das nicht glauben mag, spreche sich einmal öffentlich für Fracking aus. Oder gegen das Ansiedeln von Wölfen in unseren Wäldern. Wer das tut, macht sich ganz schnell zum misstrauisch beäugten Außenseiter.
Manfred Kleine-Hartlage hat in seinem Buch „Die Sprache der BRD“ 131 sogenannte Unwörter gesammelt, Wörter (und Wortgruppen) also, die hier und jetzt einen unangenehmen und wie ich meine gefährlichen Konformitätszwang  ausüben. Zum Beispiel das Wort „Nichtregierungsorganisationen“. Die dadurch bezeichneten Gruppen bekommen so quasi eine Art Weihe. Sie stehen über den Dingen, nur der Wahrheit und dem Guten verpflichtet. In Wahrheit handelt es sich einfach um „private Organisationen“, die natürlich eigene Interessen verfolgen, in denen es Korruption und Machtmissbrauch gibt.

Wenn Jugendliche kein richtiges Deutsch sprechen und „ich geh Schule“ sagen, dürfen wir das noch „schlechtes Deutsch“ nennen oder müssen wir „Sprachwandel“ dazu sagen? Überhaupt die „Jugendlichen“. Sind diese gewalttätig, extremistisch, antisemitisch, so bekommen sie in den meisten Zeitungen nur dann eine Nationalität, wenn es sich um Deutsche handelt. Sonst sind es einfach Jugendliche aus Dinslaken, die in den Dschihad ziehen. Selbstverständlich durchschauen die Leser schnell solche Finten und entwickeln so ein tiefes Misstrauen gegen die Medien.

Man muss und kann nicht jede Worteinschätzung des Autors teilen. Unterhaltsam und erhellend ist das Buch allemal.

Reiner Pogarell

Manfred Kleine-Hartlage: Die Sprache der BRD. 131&nbsp;Unwörter und ihre politische Bedeutung. Steigra: Verlag Antaios 2015. 22,00 Euro, 239 Seiten, gebunden. <br>ISBN 978-3-944422-27-5.

(Beitrag aus VDS-Sprachnachrichten, Nr. 67, September 2015)