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Schnarchhansel und Nörgelliese

Vincent Balnat, L’appelativisation du prénom. Étude contrastive allemand-français Tübingen 2018. 286 S., 70 Euro, ISBN 978-3-8233-8185-3

Diese in französischer Sprache verfasste Studie widmet sich dem grammatikalischen Vorgang, wenn ein Personenname eine erweiterte, generelle Bedeutung bekommt, also ein Gattungsbegriff oder eine Stoffbezeichnung entsteht – und zwar vergleichend in den Sprachen Deutsch: der (deutsche) Michel, (Voll-)Horst (Idiot), Dietrich (Schlüsselersatz) und Französisch: le fritz (deutscher Soldat) und l’yvette (traditionelle französische Hausfrau).Der Straßburger Germanist Vincent Balnat hat sich besonders solche Fälle angeschaut, die aus ursprünglichen Vornamen entstanden sind und dies über einen Zeitraum vom 12. Jahr-hundert bis in die Gegenwart. Seine Quellen sind vor allem historische Wörterbücher, ältere namenskundliche Arbeiten, besonders auch zu den Dialekten, und schließlich auch moderne Textsorten wie Internetblogs.

Der Autor beschreibt die Entstehungswege dieser neuen Wörter, ihre Bedeutungsveränderungen und ordnet sie in der Grammatik ein. Ein Ergebnis: Die Bedeutung solcher Appellativnamen ist oft nicht ganz scharf, und der ursprüngliche Name erhält nicht selten einen abfälligen Beiklang, manchmal sogar noch verstärkt durch andere Wörter: dummer August, Nörgelliese. Schnarchhans. Es kommen über die Jahrhunderte dabei im Deutschen 195 im Französischen 282 einschlägige Wörter zusammen, die entstehen, eine zeitlang in Gebrauch sind und auch wieder vergessen werden: Stechhans (für den Schneider), Lattenseppel (Polizist), Nicki (Pullover), der Hugo (Zigarre), im Französischen: adolf zur Bezeichnung einer herrschsüchtigen oder rassistisch eingestellten Person. Der erste Beleg im Deutschen ist Johannisbrot aus dem 14. Jahrhundert. Aktuelle Beispiele: Werbefritze, Kevin (sozial stigmatisierter Jugendlicher) oder im Französischen martiniste (Anhänger der Politikerin Marine Le Pen).Vincent Balnat, der mit dieser Arbeit seine Habilitationsschrift vorlegt, kommt zu dem Schluss, dass solche Ableitungen von Vornamen in beiden untersuchten Sprachen ähnlich funktionieren. Es sind sogar oft die gleichen Namen die Grundlage für die neuen Wortbedeutungen: Hans / Jean, Ludwig / Louis, Grete /Margot. Auch bei den Bedeutungen der neuen Gattungsnamen finden sich in beiden Sprachen viele Übereinstimmungen. Der Verfasser führt dies auf die gemeinsame europäische Kulturgeschichte zurück, was vor allem bei Wörtern mit religiösem Bezug sehr deutlich wird, wie bei den Bezeichnungen der Kirchenorden: Jesuiten, Augustiner, Franziskaner.

Diese Studie ist ein besonderer Blick auf die Wortbildung der deutschen und der französischen Sprache, mit der Balnat beiden Sprachen einen wertvollen Dienst erwiesen hat.

Holger Klatte