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Sündenregister

Werner Lehfeldt/Martin Müller-Wetzel: Abenteuer Schriftdeutsch. Sechs Grammatikfehler: wie sie das Lesen behindern, wie man sie vermeidet. Ein intensiv kommentiertes Sündenregister aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. MatrixMedia Verlag Göttingen 2017. ISBN 978-3-946891-03-1. 212 Seiten, 22 Euro

Die FAZ zählt zu den Qualitätsmedien und lässt erwarten, in ihr auch in grammatischer Hinsicht einem qualitätsvollen Deutsch zu begegnen. Ihr langjähriger Leser, der slawistische Sprachwissenschaftler Werner Lehfeldt, musste bei seiner Lektüre aber erfahren, dass die zunehmenden grammatischen Verstöße in den FAZ-Beiträgen seine Aufmerksamkeit von den Inhalten ablenkten. Das war ihm Anlass, Fehler zu notieren und zu kategorisieren, was ein „Sündenregister“ ergab. Er leitete es der Redaktion in der Hoffnung zu, sie wieder auf den Weg eines korrekten Schriftdeutsch lenken zu können. Diese Erwartung erfüllte sich nicht.

Die Fehlerkategorisierung ergibt die „Rubriken“ Kasuskongruenz bei Appositionen (1), Kasusforderung von Präpositionen, Verben und Adjektiven (2), Modus- und Tempusgebrauch (3, 4), komplexe Satzgefüge (5), zusammengesetzte Substantive (6). Beanstandet und an 753 FAZ-Belegen veranschaulicht wird die fehlende Kongruenz im Kasusgebrauch von Ausgangs- und Bezugsnomen, so dass „Pseudoappositionen“ entstehen (1), Unsicherheiten vor allem beim Gebrauch des Genitivs (2), Nichtbeachtung des Modus irrealis (3) und der schlüssigen Verwendung der Vergangenheitstempora (4), die vermeintlich besserer Verständlichkeit geschuldete Zerstückelung komplexer Satzgefüge (5) und die Verwendung von Bindestrichen zwischen den Konstituenten in Wortzusammensetzungen (6). Die zahlenmäßig auffallendsten Verstöße in den FAZ-Belegen beziehen sich auf die Bindestrichschreibungen. Sie gelten ja als eine das Verstehen „schwerer Wörter“ erleichternde Schreibung und werden von den Verfechtern des „einfachen Deutsch“ bei Komposita und Ableitungen praktiziert.

Nach den Vorworten der Verfasser folgt der erste, von Werner Lehfeldt verantwortete Teil mit der Präsentation des Sündenregisters und entsprechenden standardbezogenen Korrekturen (S. 16-83). Im zweiten Teil (S. 84-207) erklärt Martin Müller-Wetzel, Latinist und Sprachlehrer, was es mit den Fehlern auf sich hat. Das erfolgt in systematischen grammatischen Erläuterungen, Lernhinweisen und gut lesbaren Kommentaren. So entsteht ein Grammatikkurs, dem anzumerken ist, dass seinem Verfasser nicht nur die Finessen deutscher Grammatik vertraut sind, sondern dass er auch auf einschlägige Unterrichtserfahrungen zurückgreifen kann.

Es zeigt sich, dass die behandelten Verstöße gegen gültige Sprachnormen nicht in gleicher Weise das Verständnis behindern. Während Fehlleistungen in den Kategorien (1) und (2) die intendierten Aussagen in der Tat verunklaren, kann das in (5) Präsentierte auch zur stilistischen Hervorhebung bestimmter Satz-aussagen dienen. In anderen beanstandeten Fällen scheint sich ein sprachgeschichtlicher Umbau anzudeuten, etwa bei dem Verzicht auf Kasusendungen. Auch ist die zunehmende Aufgabe der Kasuskongruenz bei Datumsangaben in der Konstruktion von „Pseudoappositionen“ im heutigen Sprachgebrauch nicht mehr zu übersehen.

Beim öffentlichen Gebrauch des Schrift-deutschen sind die Schreiber gut beraten, den gültigen Standards zu folgen. Dabei kann das hier vorgestellte „Abenteuer Schriftdeutsch“ die Augen öffnen helfen und bewusst machen, dass gedankenloses Niederschreiben nicht nur ein paar Sprachpuristen verstört, sondern das Verstehen der eigenen Botschaft erschwert. Darüber hinaus ist das Buch mit seinen einfallsreichen und witzigen Formulierungen auch sehr unterhaltsam, was nicht immer von sprachpflegerischen Bemühungen zu sagen ist.

Dieter Stellmacher