Haus der deutschen Sprache
Deutsch - gestern und heute

„My Back & Coffee“

Werbesprache, Kiezsprache, Denglisch

In Berlin leben fast vier Millionen Menschen, 570.000 von ihnen sind nichtdeutsche Bewohner. Der Bezirk Neukölln hat 328.000 Einwohner und seinerseits fünf Ortsteile, und der größte (neben Britz, Buckow, Rudow und Gropiusstadt) heißt ebenfalls Neukölln. Dort leben 167.000 Menschen, davon 55.700 Ausländer. Dies entspricht einem Anteil von 33 Prozent.

Neukölln in Neukölln ist da-mit beispielhaft für eine moderne europäische Einwanderungsgesellschaft. In den großen Einkaufsstraßen sind Stadtbild und Einzelhandel stark von muslimischen Einwanderungsgruppen geprägt. An einer der äußerst belebten Nord-Süd-Achsen durch den Bezirk, der insgesamt 2,6 Kilometer langen Hermannstraße, liegt das türkisch-deutsche Bistro „My Back & Coffee“.

Diese kurze werbesprachliche Sequenz ist eingebettet in die multikulturellen, multiethnischen und -sprachlichen Zusammenhänge im Milieu Neukölln, ist Teil einer Mischung von Umgangssprache, Jugendsprache, Kiezsprache und ethnolektalen (also den nach zugewanderter Ethnie unterscheidbaren) Sprech- und Sprachgewohnheiten mit schnellen Trends und Moden voller hybrider Artikulationsmuster. Erste Untersuchungen des Phänomens sprachen von Türken-Deutsch und Türkenslang, Kanak Sprak, Ghettosprache oder Mischsprache. Inzwischen weiß man mehr, nämlich dass das Sprachverhalten von Migranten und ihren Nachkommen auch beträchtlichen Einfluss auf die Sprachpraxis der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausübt. Sprich: Die sprachlichen Repertoires von Zugewanderten wie Ansässigen verändern sich parallel.

„Ethnolekt: Mussu lernen“, betitelte der Berliner „Tagesspiegel“ 2015 ein Feuilleton zum Thema Jugendsprache. Die Germanistin Heike Wiese, die den türkisch-deutschen Mixsprech Neuköllner Jugendlicher „Kiezdeutsch“ nennt, sagt: „Er wird von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gesprochen, die hier geboren sind, aber auch deutscher Herkunft sein können. Gemeinsam haben sie diese Sprache entwickelt.“ Typisch sei „die spezielle Stakkato-Intonation“ und das Weglassen von Artikeln oder Präpositionen wie in Isch geh gleisch Kino.

Mit sprachlicher Inkompetenz habe dies nichts zu tun, assistiert die Linguistin Maria Pohle von der Universität Potsdam. Eine klassische Beschwichtigung. In einem Interview mit den „Deutsch-Türkischen Nachrichten“ spricht sie sich dafür aus, das Kiezdeutsch in den deutschen Schulunterricht zu holen. Mittlerweile integrierten deutschsprachige Jugendliche den „Einwanderer-Slang“ in ihren Jargon. Kiezdeutsch (Kennzeichen: extrem reduzierte Grammatik) sei „ein Zeichen jugendlicher Solidarität.“ Das klingt ganz herzig und darf sich betont affirmative Interpretation nennen.

Diese Kiezdeutsch-Romantik greift aber zu kurz. Im Zuwanderer-Milieu Neukölln sind Einwanderergruppen aus EU-Ländern (größte unter ihnen: Polen) und Migranten aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten wie Afghanistan und Irak, aus Nordafrika und aus Syrien längst dabei, den vorhandenen deutsch-türkischen Sprachmix zusätzlich mit englischen und arabischen Termini und Hybridbildungen zu bestücken. Da viele Migrantengruppen neben ihrer Muttersprache allerhöchstens Englisch-Kenntnisse nach Deutschland mitbringen, stellt sich auf diese Kunden der flexibel aufgestellte, multikulturell-sozialisierte, inhabergeführte Einzelhandel – typisch für Neukölln – fix drauf ein. So kommt es auch zu „My Back & Coffee“.

Innovative Werbesprache will die Sprache der Umworbenen finden und damit arbeiten. Gutes Beispiel für blitzschnellen Zugriff auf jugendsprachliche Trends war die Strategie der Media-Saturn Holding. Sie warb 2015 mit „Soo! muss Technik!“ und nahm damit Verkürzungs- und Verformungsimperative aus dem Kiezdeutsch auf. Das hat diesen Kurzsprech gleichzeitig bundesweit gestreut und popularisiert und liefert – wohlwollend betrachtet – neues Material für den Wortschatz der Gesamtgesellschaft. Aber das ist nur die Hälfte des Phänomens. Die andere Hälfte ist weniger lustig: Der Aufbau einer Befähigung zu korrektem Deutsch kann verkorkst werden, entscheidende Wege zu Aufstieg, Integration und Emanzipation werden verbaut.Seit den späten 1990er Jahren wird von der deutschen Sprechergemeinschaft zudem jede naheliegende Chance auf Deutsch-Vermeidung und Englisch-Aufgriff mit großer Verve genutzt. Eine Besonderheit sind die zahlreichen Scheinentlehnungen, etwa der Beamer (englisch: data projector), der Rucksacks namens Body Bag (im Amerikanischen das Wort für Leichensack) und nicht zuletzt der Coffee to go (englisch ein Take away coffee). Im Falle von „My Back & Coffee“ wird die to go-Konstruktion ergänzt durch die ebenfalls seit Jahren betriebene Ablösung des Begriffes „Bäckerei“ für Verkaufsstellen von Backwaren. Filialisten treten in deutschen Innenstädten unter kurzen Hybrid-Formeln wie „Back-Factory“ oder „Back-Shop“ auf. Insoweit verknüpft „My Back & Coffee“ zwei Entwicklungslinien alltags-, jugend- und werbesprachlicher Trendkommunikation, kann aber eine breitere Verständlichkeit wohl nicht erreichen. Aufgrund der Homographie von „Back“ (englisch = Substantiv: Rücken, Adverb: zurück; deutsch = Verkürzung für Backwaren, Bäckerei) wird ein amerikanischer Tourist oder englischer Muttersprachler irritiert lesen müssen: „Mein Rücken & Kaffee“. Wie er damit dasteht? Wie der Ochs vorm Berg. Fürs allgemeine Publikum wird auch die wesentliche Kategorie Einfachheit und Klarheit verfehlt. Die werbende Aussage ist semantisch zerklüftet und von einer ungelenken Zweisprachigkeit torpediert. Sprachkorrektheit wird bewusst vermieden – was andererseits auch klappen kann: „Da werden Sie geholfen!“, die einstige Werbebotschaft der Deutschen Telekom, wurde gerade aufgrund des grammatikalischen Bruches zum Erfolg.

„My Back & Coffee“ dagegen verpeilt seine Aufgabe als Werk-zeug werbender Überredung (Persuasion) völlig. Ergebnis ist höchstens unbeabsichtigte Komik. Der Botschaft gelingt es gar, in doppelter Hinsicht zu scheitern – beim muttersprachlich deutschen genauso wie beim muttersprachlich englischen Kunden. Conclusio: „My Back & Coffee“ ist ein semantisch-ästhetischer Graus und als Werbeformel vollendet dysfunktional. In sich jedoch ein beeindruckendes Zeichen seiner Zeit.

Paul Hermann Gruner