Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats April 2012

Ob Friedrich Rückert auch an seine leibliche Mutter dachte, als er das Gedicht An unsere Sprache verfasste, hätte Sigmund Freud einige Jahre später sicher mit ja beantwortet. Wie sehr Rückert sie verehrte, die deutsche Sprache, hat der Dichter für die Nachwelt festgehalten:

An unsere Sprache
Von Friedrich Rückert

Keine Jungfrau, ewig schöne,
Geist´ge Mutter deiner Söhne,
Mächtige von Zauberbann,
Du, in der ich leb´ und brenne,
Meine Brüder kenn´ und nenne,
Und dich selber preisen kann.

Da ich aus dem Schlaf erwachte,
Noch nicht wußte, daß ich dachte,
Gabest du dich selber mir,
Ließest mich die Welt erbeuten,
Lehrtest mich die Rätsel deuten,
Und mich spielen selbst in dir.

Spenderin aus reichem Horne,
Schöpferin aus vollem Borne,
Wohnerin im Sternenzelt!
Alle Höhn hast du erflügelt,
Alle Tiefen du entsiegelt,
Und durchwandelt alle Welt.

Durch der Eichenwälder Bogen
Bist du brausend hingezogen,
Bis der letzte Wipfel barst;
Durch der Fürstenschlösser Prangen
Bist du klingend hergegangen,
Und noch bist du, die du warst.

Stürme, rausche, lispl´und säus´le!
Zimmre, glätte, hau´und meiß´le,
Schaffe fort mit Schöpfergeist!
Dir läßt gern der Stoff sich zwingen,
Und dir muß der Bau gelingen,
Den kein Zeitstrom niederreißt.

Mach uns stark an Geisteshänden,
Daß wir sie zum rechten wenden,
Einzugreifen in die Reihn.
Viel Gesellen sind gesetzt,
Keiner wird gering geschätzet,
Und wer kann, soll Meister sein.

Was das lyrische Ich seiner Muttersprache hier zuspricht, ist Reife und ewige Schönheit, die den menschlichen Geist verzaubern kann. Jede Strophe wird von einem Paarreim eingeleitet und von einem umarmenden Reim begleitet, so dass jede Strophe einen Bruch enthält und zum wiederholten Lesen auffordert. Die Sprache wird als Mutterfigur herausgestellt, ihre Sprecher als „Söhne“ und „Brüder“ in eine große Familie eingebunden. Dem Denkenden öffnet sie Welten, sie ist vielseitig und reich an Worten. Es gibt keinen Sachverhalt, der nicht formuliert, kein Gegenstand, der nicht beschrieben werden könnte. Seien es derb gesprochene Wörter im Wald oder Sinnieren auf einem Schloss, sie bleibt stets dieselbe, die deutsche Sprache. Mit ihrer Klanggewalt und Genauigkeit, weiß das lyrische Ich, reizt sie den Ehrgeiz des Sprechers und schmeichelt jeder Erzählung, zudem ist sie bei all der vergehenden Zeit unzerstörbar, sie ist reich, voll und grenzenlos.

Die überwiegend weiblichen Kadenzen werden im dritten und sechsten Vers von männlichen Kadenzen abgelöst, nur die letzte Strophe enthält eine männliche statt einer weiblichen Kadenz im vierten Vers. Die Kadenzen ergeben sich aus dem Versfuß des Trochäus. Klangvolle Worte lassen das Gedicht brausen, barsten, prangen, klingen, stürmen, rauschen, lispeln und säuseln. Insgesamt personifiziert das lyrische Ich seine Muttersprache, indem es sie wohnen, entsiegeln, hergehen, zimmern, glätten, hauen und meißeln lässt und so zwingt es das Medium Sprache ins Menschliche. Schließlich wünscht sich das lyrische Ich einen starken Geist, der gutes vollbringen kann. Es gesteht vielen Sprechern zu, „Gesellen“ der deutschen Sprache zu sein. Und wer sie meisterhaft beherrscht, soll entsprechend gewürdigt werden.

Friedrich Rückert (Stahstich von Carl Barth)
Friedrich Rückert, Stahlstich von seinem »Lieben Freund und Kupferstecher« Carl Barth nach einer Vorzeichnung aus dem Jahre 1843

Am 16. Mai 1788 gebar die Advokatentochter Maria Barbara Rückert, geb. Schoppach ihrem Mann Johann Adam Rückert in Schweinfurt einen Sohn mit dem Namen Johann Michael Friedrich Rückert.

„Mit jeder Sprache, die du erlernst, befreist du einen bis daher in dir gebundenen Geist.“

1805 schließt Rückert das Gymnasium ab und beginnt ein Jurastudium an der Universität Würzburg, wenig später auch eines der Griechischen Mythologie sowie der Naturphilosophie und besucht Vorlesungen über die Hebräische Sprache.

Die Sprache beschäftigte Rückert schon in jungen Jahren. Als Gelehrter übersetzte, lehrte und forschte er zu 44 alten und lebenden Sprachen, darunter Arabisch, Äthiopisch, Biblisch-Aramäisch, Estnisch, Gotisch, Englisch, Latein, Maltesisch, Russisch, Sanskrit, Schwedisch und Türkisch.

„Aufmerksamkeit, mein Sohn, ist, was ich dir empfehle; bei dem, wobei du bist, zu sein mit ganzer Seele.“

In den Jahren 1807-1809 schreibt der Herangewachsene seine ersten Gedichte und gesellt sich 1813 zu der um 1800 von Christian Truchseß von Wetzhausen gegründeten literarischen Tafelrunde auf Schloss Bettenburg, der auch Gustav Schwab, Jean Paul, Heinrich Voß d. J. und Friedrich de la Motte Fouqué angehören. In dieser Zeit entstehen seine berühmten Geharnischten Sonette, mit denen er Napoleon lyrisch opponierte und welche unter dem Pseudonym Freimund Reimar, ohne Angabe des Verlags oder Druckortes, erschienen. Wenige Jahre später folgt Napoleon, eine politische Komödie in zwei Stücken.

Bettenburg
Bettenburg bei Hofheim, Unterfranken

„Der Scherz ist ein Versuch, Ungleichheit gleichzustellen. Drum scherzen ungestraft nur unter sich gesellen. Mit Kleinerm scherze nicht, er wird sich überheben, und nicht mit Größerem, er wird dir´s nicht vergeben!“

Auf dem Rückweg einer Italienreise (1817), welcher über Wien führt, lässt Rückert sich von einem Orientalisten zu einer ausgiebigen Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen inspirieren, er lernt Persisch. In der Folge übersetzt er Teile des Koran und der arabischen Volkslieder des Abu Tamman, der Hamasa. Zudem verfasst er Gedichte in der Form des Ghasel.

Das Ghasel
Es wandte meine Kunst sich zum Ghasele,
Damit sie allen Formen sich vermähle.
Ergötzlich ist solch bunte Reimerei,
Ob auch des Lebens markiger Kern ihr fehle;
Die Wandrung selbst bereichert schon den Geist,
Ob er auch nirgends plündre oder stehle.
Hier lernt, wie tönender Musik zulieb
Die Sprache sich in mancher Krümmung quäle
Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht,
Seltsame Bilder halb gezwungen wähle.
Des Künstlers Kunst und Fassung leihet oft
Den Wert dem minder kostbaren Juwele.
Euch fleh ich an, o Richter, richtet mild,
Weil ich ja selbst die Schwächen nicht verhehle,
Und unter dieses bunten Turbans Schmuck
Verkennet nicht die echte Christenseele.

Buchumschlag
Friedrich Rückert: Werke in 6 Bänden, Leipzig um 1890

„Du entgehst nicht dem Verhängnis! Diesen Glauben hast du, merke, nicht daß er dich in Bedrängnis mutlos mache, sondern stärke.“

1821 heiratet Rückert die Archivarstochter Luise Wiethaus-Fischer und verfasst seine Gedichtsammlung Liebesfrühling. Luise gebiert dem Dichter zehn Kinder, von denen drei in jungen Jahren sterben. Die Trauer über diesen Verlust verarbeitet der Dichter 1834 in den 428 Gedichten der Kindertodtenlieder (1872).

Rückert verdient seinen und später den Lebensunterhalt seiner Großfamilie als Privatdozent in Jena, als Lehrer an einem Gymnasium in Hanau, als Redakteur des Stuttgarter Morgenblattes und seit 1826 als Professor orientalischer Sprachen an den Universitäten Erlangen und Berlin. Zwischendurch hält er sich immer wieder bei seinen Eltern im fränkischen Ebern auf.

Seinen Lebensabend verbringt Rückert ab 1848 auf dem Familiengut in Neuses, wo er am 31. Januar 1866 verstirbt.

Heute ist der Friedrich-Rückert-Preis nach im benannt und Denkmäler in Berlin, Neuses und Schweinfurt verweisen auf den Dichter und Begründer der deutschen Orientalistik. Noch zu Lebzeiten erhält er Auszeichnungen und Orden, so z.B. den preußischen Orden Pour le Merite für Wissenschaft und Künste und das Ritterkreuz des königlichen Verdienstordens vom heiligen Michael.

Rückert-Denkmal in Coburg-Neuses
Rückert-Denkmal in Coburg-Neuses

„Sprachkunde, lieber Sohn, ist Grundlag´ allem Wissen; derselben sei zuerst und sei zuletzt beflissen!“

Bildquellen:
Bettenburg (gemeinfrei): http://de.wikipedia.org/wiki/Bettenburg
Stahlstich (gemeinfrei), Buchumschlag (Scheurebe2000), Rückert-Denkmal (Störfix): http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_R%C3%BCckert