Haus der deutschen Sprache
Deutsch - gestern und heute

Mit dem 1. hört man’s richtig.

ARD-Aussprachedatenbank mit 170.000 Ausdrücken

Stracciatella, Worcester-Soße oder Libyen, dazu Feridun Zaimoglu, Bertie Ahern oder Christoph von Dohnányi – Namen und Begriffe, von denen kaum jemand weiß, wie sie richtig betont und ausgesprochen werden. Hörfunk- und Fernsehjournalisten begegnen im Jahr Tausenden solcher Wörter.

Damit sie diese nicht nur möglichst unfallfrei, sondern auch einheitlich aussprechen, wurde vor zehn Jahren die ARD-Aussprachedatenbank eingeführt. Mittlerweile haben Nutzer per Mausklick Zugriff auf rund 170.000 Datensätze.

„Wir sind den Zuschauern schuldig, die Wörter gleich auszusprechen, wenn das Gleiche gemeint ist“, sagt ARD-Chefsprecher Jan Hofer. Zudem hätten ausländische Landsmannschaften ein Anrecht auf die richtige Aussprache von Wörtern ihrer Muttersprache. «Verbindlichkeit und Einheitlichkeit sind unverzichtbar», sagt Hofer. Für ihn ist die Datenbank ein zuverlässiges und schnelles Instrument, mit dem er sogar noch im Studio während der laufenden Sendung die korrekte Aussprache ermitteln kann.

Früher, erzählt der Sendeleiter des Hessischen Rundfunks (hr), Wolfgang Sieber, standen in den einzelnen ARD-Sendern Zettelkästen mit der korrekten Aussprache einzelner Wörter. Oft hatten sogar die einzelnen Redaktion innerhalb eines Senders eigene Aussprachekarteien.

Den Anfang machte der hr. Ursprünglich nur für den Hörfunk des Senders entwickelte man dort eine Aussprachedatenbank. Die anderen ARD-Sender waren jedoch so angetan, dass sie sich schnell dem Projekt anschlossen.

Das ARD-Fernsehen wurde ebenfalls mit ins Boot geholt. Heute greifen auch die Deutsche Welle, Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, Arte, der österreichische ORF, das Schweizer Fernsehen sowie die deutsche Sektion des italienischen Staatsfernsehens RAI auf die Datenbank zu.

Mitte Mai dieses Jahres gab es knapp 170.000 Datensätze,
nahezu alle enthielten neben einer Transskription in Lautschrift auch eine MP3-Audiodatei, in der das Wort korrekt von einem professionellen Sprecher oder einer Sprecherin gesprochen wird. Jedes Jahr kommen zwischen 13.000 und 15.000 Neuerfassungen dazu, rund 500.000 mal pro Jahr wird auf die Datenbank zugegriffen.

Der Herr der Sprachdateien ist Roland Heinemann. Dem Redaktionsleiter der Aussprachedatenbank, zugleich der einzige Festangestellte in dieser Redaktion, steht derzeit ein Netz von rund zwölf freien Mitarbeitern zur Verfügung. „Das kleinste Gemeinschaftsprojekt der ARD“, witzelt Sieber.

Zum einen werden Begriffe und Namen aus dem täglichen Nachrichtenstrom gefiltert und dann ihre Aussprache recherchiert. Zum anderen erledigt die Redaktion auch Anfragen aus der ARD. Drei Mal täglich werden die Neuaufnahmen vertont.

Bei der Ermittlung der korrekten Aussprache von Personennamen ist die Selbstauskunft der Betroffenen die zuverlässigste Quelle. Zu Demonstrationszwecken spielt Heinemann ein Audiofile vor, in dem der Tierforscher und -filmer Bernhard Grzimek mit einer Reporterin die Aussprache seines Namens übt.

Ansonsten recherchiert man die richtige Aussprache nicht nur in Lexika und Wörterbüchern, sondern steht auch in Kontakt mit Botschaften und Konsulaten, Kulturvereinen, wissenschaftlichen Institutionen sowie mit Personen vor Ort – neben ausländischen Rundfunkanstalten auch die ARD-Korrespondenten in aller Welt.

In Deutschland gibt es zudem eine Kooperation mit dem Dudenverlag/Brockhaus, Heinemann spricht von einem „herzlichen Verhältnis“, wobei man allerdings nicht immer einer Meinung sei. So sehe der Duden (
siehe Nachschlagewerke ) bei der Aussprache von „Safer Sex“ zwei weiche, stimmhafte S-Laute vor, weil der scharfe S-Laut im Deutschen nicht am Wortanfang vorkommt – für den früheren Englischlehrer Heinemann ein Graus.

Bei der Ermittlung der korrekten Aussprache gelte der Grundsatz „So original wie möglich, so deutsch wie nötig“, sagt er. Dabei greife man dann eben auch auf ein erweitertes Lautinventar zu, das bislang nicht im Aussprache-Duden (siehe Nachschlagewerke ) vorgesehen sei. Schließlich sei die Eindeutschung ein dynamischer Prozess.

Wenn Tagesschau-Sprecher Hofer über Aussprachefehler spricht, steigt ihm die Zornesröte ins Gesicht. Schließlich sei es auch ein Ausdruck von Bildung zu wissen, dass Waterloo in Belgien liegt und deswegen nicht englisch ausgesprochen wird. «Aber Abba hat uns da versaut», sagt er in Anspielung auf den Hit der schwedischen Band. Alle Sprecherinnen und Sprecher der Tagesschau seien gehalten, sich vor ihren Sendungen bei Eigennamen abzusichern. „Jeder der davon abweicht, kriegt Ärger“, betont Hofer.

WDR-Chefsprecher Dieter Schiffer verweist darauf, dass die korrekte Aussprache auch ein sehr emotionales Thema sei – gerade bei Ortsnamen. „Wenn wir Telgte sagen, gehen die Leute dort in die Kronleuchter, weil der Ort ihrer Meinung nach „Telchte“ ausgesprochen werden muss“, sagt er.

Zudem sei die korrekte Aussprache auch ein Zeichen von Kompetenz. Schon oft hätten sich Journalisten ihre besten Beiträge kaputt gemacht, weil sie einen Begriff völlig falsch ausgesprochen hätten und damit zeigten, dass sie ganz offensichtlich von dem Thema keine Ahnung haben.

Net-Tribune vom 22.5.2007