Haus der deutschen Sprache
Deutsch - gestern und heute

Sprache im Dienst

Untersuchungen zur „offiziellen“ (durch die SED und den Staatsapparat) regulierten Sprache der DDR

Von Dr. Albrecht Balzer

DDR-Flagge1. Natürlich beeinflusste die „Sprache im Dienst der DDR“ teilweise das politische Denken und Handeln der damaligen DDR-Bürger. Sie wurde jedoch von der Mehrzahl dieser Bürger entweder überhaupt nicht oder nur mit ironischer Distanz verwendet. Lediglich Politiker, Funktionäre oder Menschen in bestimmten „gehobenen Stellungen“ benutzten die „Sprache im Dienst“ in ihren Reden und teilweise auch in der alltäglichen Kommunikation.

Wie wichtig diese Sprachregelung offiziell genommen wurde, beweist eine kleine Anekdote, die sich an einer Berufsschule mit Abitur zugetragen hat. Als Klassenleiter einer solchen Abiturklasse war ich in einer Staatsbürgerkunde-Prüfung einer meiner Lehrlinge – heute wurde man sagen „Azubis“ – mit anwesend. Der Lehrling hatte gerade den Raum verlassen, da wandte sich der Beisitzer vorwurfsvoll an den prüfenden Lehrer: „Mein lieber Kollege – der Begriff ’sozialistische Menschengemeinschaft’, den du da gerade verwendet hast, ist auf dem letzten Parteitag der SED gestorben.“

2. Die Sprachregulierung in der DDR erfolgte nach folgendem ideologischen Grundmuster:

  • Die sozialistischen Länder, an ihrer Spitze die Sowjetunion, bestimmen, „weise“ geführt von marxistisch-leninistischen Parteien, den wesentlichen Verlauf der Geschichte.
  • Mit ihnen verbündet sind die Arbeiterklasse und alle anderen „fortschrittlichen Menschen“ der „kapitalistischen Welt“ sowie prinzipiell alle Länder der sogenannten „Dritten Welt“.
  • Die eigene Bevölkerung besteht ebenfalls nur aus „Verbündeten“ oder zumindest „potenziellen Verbündeten“. Letztere müssen so beeinflusst werden, dass sie möglichst weitgehend die Strategie von „Partei und Regierung“ verstehen und unterstützen, und dazu dient die Sprache der Agitation.
  • Die „herrschenden Kreise“ (Kapitalisten) der westlichen Industrieländer dagegen und deren Vertreter in den jeweiligen Regierungen bremsen den Fortschritt und gelten als prinzipielle Feinde. Sie müssen mit allen Mitteln bekämpft werden, und dazu dient die Sprache der Polemik.

3. Sprache der Agitation

1965-1980

Das wesentliche Element dieser bewussten Sprachformung war der Versuch, durch permanente Wiederholung bestimmte Denkschemata zu entwickeln und zu stabilisieren – nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Die inoffiziellen Dokumenten und Zeitungsberichten gegebene Reihenfolge der sozialistischen Länder war gleichzeitig Rangfolge: „die UdSSR, die DDR und die anderen Bruderländer“. Führende Persönlichkeiten dieser Länder wurden stets mit ihren Funktionen in der (kommunistischen) Partei, im Staat und in weiteren gesellschaftlichen Organisationen (immer in dieser Reihenfolge!) genannt. Das entsprach dem Selbstverständnis derer, die zunächst in der Partei (man beachte den bestimmten Artikel – andere Parteien existierten nur formell!) die Strategie festlegten und diese dann mit Hilfe des Staatsapparates und weiterer Organisationen in die Tat umzusetzen versuchten. Da die meisten Politiker sehr lange in ihren Ämtern verblieben und im Dienst ergrauten, konnte man geradezu eine Verschmelzung von Namen und Funktion registrieren. Beispiel: „H. Sindermann, Mitglied des Politbüros (Parteiamt!) und Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR (Regierungsamt!).“

Über Aktivitäten im „sozialistischen Lager“ wurde im Jahre 1972 so berichtet: „Die gemeinsamen Aktivitäten der UdSSR, der DDR und der anderen Bruderländer zur Realisierung des Friedensprogrammes des XXIV. Parteitages der KPdSU. Ihre koordinierten Handlungen üben auf das internationale Geschehen einen ständig zunehmenden Einfluss aus.“ Dieses typische Konstrukt sozialistischer Agitation enthalt alle wesentlichen Elemente der agitatorischen „Sprache im Dienst“:

  • die schon erwähnte Rangordnung
  • „schmückende“ Adjektive, Adverbien und Partizipien – teilweise auch synonym: „gemeinsame Aktivitäten“ sind gleichzeitig „koordinierte Handlungen“
  • eine Häufung von Genitivattributen
  • die Suggestion, dass sich der eigene Einfluss auf die Weltpolitik ständig erweitert.

Der Leser erfuhr durch diesen Satz und auch die folgenden nicht, um welche Aktivitäten es im Einzelnen ging und wie sich der „ständig zunehmende Einfluss“ konkret bemerkbar machte. Darauf kam es gar nicht an. Es ging im Prinzip immer nur darum, das eigene ideologisch verbrämte Wunschdenken (Entwicklung der Welt in Richtung Sozialismus) dem Leser gewissermaßen ins Bewusstsein zu hämmern.

Sehen wir uns ein besonderes markantes Beispiel an: „Die inzwischen getroffenen Vereinbarungen zur Vertiefung der Zusammenarbeit und Kooperation sind gekennzeichnet durch gemeinsame Arbeit, das immer umfangreichere Zusammenwirken, höhere Leistungsfähigkeit, die fortschreitende Spezialisierung und den gegenseitigen Austausch.“

DDR-FlaggeEs bestand damals, wie wir hier sehen, fast so etwas wie ein „Attributzwang“, z.T. mit Komparativen (Steigerung). Inhaltlich sinnlose, weil überflüssige Doppelbegriffe (Zusammenarbeit und Kooperation) sollten die Aussagen besonders betonen. Dieses beliebte Stilmittel (übrigens auch bei „Stärkung und Festigung“, „Verbesserung und Vervollkommnung“) machte die Sprache substantivlastig und somit statisch, wobei Abstrakta auf „-ung“ dominierten. Sie dienten vor allem dazu, erwünschte positive Prozesse herbeizureden, die dann noch „Ornamente“ erhielten wie „immer besser“, „immer umfangreicher“, „immer intensiver“. Eine mitunter ziemlich triste Realität wurde schongefärbt und hochstilisiert, eine in Wirklichkeit komplizierte Entwicklung mit Berg- und Talfahrten stellte man als gradlinig, gleichförmig, planmäßig progressiv dar, und der Leser wurde beschworen, diesem „automatischen“ und „gesetzmäßigen“ Fortschritt unbedingt zu vertrauen.

Von den agitatorischen Absichten abgesehen, handelte es sich hier in zunehmendem Maße um „verbale Onanie“ (also „sprachliche Selbstbefriedigung“). Es ging zwar um Prozesse, aber die sprachlichen Mittel, solche Prozesse darzustellen, nämlich die Verben – im o.g. Beispiel „sind gekennzeichnet“ – blieben oft blass, bedeutungsarm, ja eigentlich selbst auch wieder nur statisch.

Der Widerspruch zwischen „dynamischem Anspruch“ (ständige positive Entwicklung) und sprachlich-statischer Darstellung (nominale Wortgruppen mit Substantiven und „schmückenden“ Adjektiven) – dieser Widerspruch vertiefte sich und ließ diese Sprache gewissermaßen im Schematismus erstarren. Dazu kamen krasse sprachliche Fehler: Im Bemühen, die Aussage immer weiter zu steigern, obwohl die jeweiligen Wörter bereits einen Höchstgrad ausdrückten, gelangte man zu einem „noch prinzipielleren Kampf“, zur „höchsten Priorität“ und schließlich zur „optimalsten (!) Lösung“.

Weiterhin muss – aus sprachlicher Sicht – kritisiert werden, dass die sogenannte verbale Satzklammer aufgrund der Fülle nominaler Wortgruppen immer wieder überdehnt wurde. Deshalb sei noch eine „Blütenlese“ an dieser Stelle angefügt: „Für die weitere politisch-ideologische Erziehungsarbeit der Genossen in Partei-, Staats- und Wirtschaftsorganen sowie in den Massenorganisationen gewinnt die Verallgemeinerung der besten Erfahrungen zur sozialistischen Rationalisierung, zur Freisetzung von Arbeitsplätzen, der Erhöhung des Schichtfaktors, der besseren Ausnutzung der Arbeitszeit im Herangehen an die Verwirklichung der Hauptaufgabe eine zunehmende Bedeutung.“ Ein krasses Beispiel auch für abstrakten „Aktionismus“ (neun Wörter auf -ung!!) und Überladung mit Attributen (insgesamt elf!).

Die „Verwirklichung der Hauptaufgabe“ konnte damals nur ein „gelernter DDR-Bürger“ verstehen. Es handelt sich hier um eine jahrelang ständig wiederholte Standardformel. Gemeint war die sogenannte „Vollendung des sozialistischen Aufbaus“. Weitere Standards, die bereits eine gewisse Vertrautheit mit der Ideologie voraussetzten, waren „das Gespräch führen“ („den Partner von der Richtigkeit der kommunistischen Lehre überzeugen“) und „einen festen Klassenstandpunkt vertreten“ („von der Richtigkeit des Marxismus-Leninismus überzeugt sein“). Die „Sprache im Dienst“ war weiterhin reich an standardisierten „Paarformeln“ oder z.T. sogar „Dreierketten“, wollte man doch den Leser davon überzeugen, dass das, was sprachlich zur Formel zusammenrückte, auch inhaltlich zusammengehörte. Beispiele: „die Arbeiterklasse und alle Werktätigen“, „Sozialismus und Frieden“, „Frieden, Demokratie und Sozialismus“, „die Kommunisten und alle fortschrittlichen Menschen“.

Ab und zu versuchten die Medienagitatoren, die in Abstraktionen und Formeln immer mehr erstarrende Sprache durch bildliche Wendungen aufzulockern: „brüderliche Bande enger schmieden“ und „ein neuer Meilenstein auf unserem Weg…“. Während diese Wendungen noch – zumindest sprachlich – halbwegs gelungen waren, wurde im folgenden Beispiel – infolge des krampfhaften Bemühens, jede Aussage unbedingt steigern zu müssen – das an sich sinnvolle sprachliche Bild wieder entstellt: „Fleißige Arbeit trägt immer umfassender und sichtbarer für jeden ihre Früchte.“ Entweder sind die Früchte sichtbar oder sie sind es nicht – was kann man hier noch steigern? Mich erinnert dieser absolut sinnlose Komparativ an einen alten Berliner Ampel-Witz: „Jehn Se man los, Frollein, jrüner wird det Licht nu nich mehr.“ Noch schlimmer wird es – inhaltlich und sprachlich – wenn ein Propagandist behauptet, dass die DDR „die umfassendsten Menschenrechte gewähre, die es je gab.“ Und das, obwohl jeder wusste, dass es mit Meinungs-, Informations- und Reisefreiheit nun wirklich nicht zum Besten stand… Typisch für die Agitationssprache war – vor allem in ihrer „Blütezeit“ – die Neigung zum Absoluten, die zu der komplizierten Entwicklung der Geschichte (die man immer zu beherrschen glaubte) in einem eigenartigen Widerspruch stand.

Die Sprachgestalter wollten „ihren“ Bürgern („unseren Menschen“ – wie man damals gern „besitzergreifend“ sagte) absolute Sicherheit vermitteln. Deshalb war der Sozialismus „unerschütterlich“, die Freundschaft zur Sowjetunion „unverbrüchlich“ oder sogar „ewig“, was nun überhaupt nicht ins marxistische Weltbild passte, sondern eher religiösen Vorstellungen entsprach. „Unerschütterlich“ und „ewig“ wurden vermutlich als Agitationswörter aus der sowjetischen Propagandasprache, also aus dem Russischen („nerushimyi“ und „vetshnyi“) entlehnt.

Zur verherrlichenden Tendenz der „Agitationssprache“ gehörten schließlich auch folgende Euphemismen, die durchweg einer stilistisch höheren Ebene zuzurechnen sind und die hohe politische Moral des herrschenden Systems verdeutlichen sollten (in Klammern die Sachbegriffe der Normalsprache): „Ehrenkleid“ (Uniform der Armee [NVA]), „Bruderbund“ (Bündnis), „Herzenssache“ (persönlich wichtige Sache – vgl. russ. „d’elo serdca“), „wesenseigen“ (typisch), „bedeutsam“ (bedeutend; immer dann stereotyp benutzt, wenn Parteibeschlüsse kommentiert wurden), „einmütig“ (einstimmig).

DDR-Flagge
1980-1989
Zunächst wollte man wieder einmal besonders schnell vorankommen und beschwor gebetsmühlenartig das nun besonders progressive „Schrittmaß der 80er Jahre“.

Das wirkte vor allem deshalb grotesk, weil der „reale Sozialismus“ kaum noch wirtschaftlichen Fortschritt erkennen ließ, sondern – im Warenangebot immer deutlicher sichtbar – stagnierte und schließlich – außer weiteren stereotyp-langweiligen Neubauten – nichts Wesentliches mehr zu bieten hatte. Nun galt es, die „Mitglieder-Versammlungen noch streitbarer“ zu machen. Versammlungen an sich können überhaupt nicht streiten, sondern höchstens die Menschen, die an ihnen teilnehmen.

Das Wort „Kommunist“ wurde im Sinne von SED-Mitglied reaktiviert, und schon wieder war man in einer völlig heilen Welt, denn „in allen Kollektiven bestimmen die Kommunisten das Schrittmaß der 80er Jahre.“

Außerdem begannen die Agitatoren im Dienst stereotype Schlagwörter neu zu kombinieren. Aus dem seit eh und je beliebten Wort „Kampf“ wurde schließlich „Krampf.“ So entstanden groteske Formulierungen wie „Mit guter Kampfposition Boxberg stabil am Netz.“ Darin noch einen Sinn zu suchen war verlorene Liebesmüh: Das Kraftwerk kämpfte gut (??) und hatte ein stabiles Stromnetz (für ein Kraftwerk eigentlich selbstverständlich – aber was war im völlig erlahmenden Sozialismus bei „Schrittmaß 80“ noch selbstverständlich?).

Auch das Gefühl für sinnvolle sprachliche Bilder (Metaphorik) ging immer mehr verloren: „Auf das Wort der Partei kann man Häuser bauen.“ Gewaltig! Aber ein solches Bild war nicht mehr nachvollziehbar, und aus der Sicht der „sozialistischen Endzeit“ 1989 wurde es geradezu makaber – angesichts des katastrophalen Zustands vieler Häuser.

Die Reihenfolge stereotyper agitatorischer Modewörter wurde schließlich aus­tauschbar: „Kampfpositionen mit Masseninitiative für wachsende Leistungen“ konnte mühelos durch „Masseninitiative mit Kampfpositionen für wachsende Leistungen“ oder „wachsende Leistungen und Kampfpositionen mit Masseninitiative“ ersetzt werden. Diese „Austauschprobe“ beweist, wie sinnlos die Sprache der Agitation schließlich wurde. Sie bestand am Ende weitgehend nur noch aus leeren „Worthülsen“, wie der Politiker Manfred Gerlach im September 1989 kritisch und damals sehr mutig vermerkte.

Selbst etwas so Wertvolles und Lebenswichtiges wie der „Frieden“ wurde in den 80-er Jahren dermaßen zerredet und verschlissen – auf einer Zeitungsseite bis zu dreißigmal !! – dass viele dieses Wort zur Wendezeit nicht mehr hören konnten. Auch eine durchaus sinnvolle Losung wie „Von deutschem Boden darf nur noch Frieden ausgehen“ wurde durch hundertfache Wiederholung letztlich wirkungslos, und die andere Standardformel „Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden“ überschätzte ohnehin die realen Möglichkeiten des Einzelnen bei weitem.

4. Sprache der Polemik

In den späten 50er und frühen 60er Jahren

Die ebenfalls parteiamtlich regulierte Sprache der Polemik hatte die Aufgabe, den politischen Gegner ständig zu attackieren und ihn permanent in Misskredit zu bringen. In den 50er Jahren erfolgte das noch undifferenziert, mit den Mitteln einer reichlich primitiven Schwarz-Weiß-Malerei. Alle Regierenden im gegnerischen Lager, vor allem die Repräsentanten der Bundesrepublik, wurden rücksichtslos angegriffen und quasi verteufelt: „Bonner Kriegstreiber“, „kalte Krieger“, „Bonner Ultras“, „Atomstrategen“ „Nazigeneräle.“ Man warf dem Kontrahenten vor, unmittelbar die Traditionen der Nazis fortzusetzen und bewusst auf den nächsten Krieg zuzusteuern. In dieser Zeit erschien der Aufruf „Wer gegen den Atomtod ist, stimmt unseren Vorschlägen zu.“ Angesprochen wurden alle „Gegner des Atomtodes“, d.h. jenseits der Frontlinie hätte es also auch „Freunde des Atomtodes“ geben müssen. Das war genauso unsinnig-absurd wie die Feststellung „Wer sich nicht für unseren Sozialismus entscheidet, wählt den eigenen Untergang.“

Von etwa 1965 bis 1980

Die Chef-Polemiker begannen zu lernen, dass allein mit einförmiger Holzhammer-Strategie nicht viel zu erreichen war und das umso weniger, als nun – Mitte und Ende der 60er Jahre – der verhasste Feind nicht oft, aber immer öfter auf der anderen Seite des Verhandlungstisches Platz nahm. Da verbot es sich von selbst, weiter nur mit der „Keule“ zu polemisieren. Wurden an einem solchen Verhandlungstisch gar einige gemeinsame Beschlüsse gefasst, nannte man den Kontrahenten schon mal ganz höflich „Bundeskanzler Brandt“.

Der gleiche Herr wurde ansonsten – etwas distanziert – „BRD-Kanzler“ (vgl. unten) tituliert, im Falle einer ganz und gar unerwünschten Handlungsweise jedoch tauchte er in den Medien als „Bonner Kanzler“ auf. Man verließ sich auf die „abschreckende Wirkung“ des Wortes „Bonn“, denn das war in der offiziellen „Sprache im Dienst“ seit Jahr und Tag ein „Hort des Bösen.“

Wenn übrigens ein westlicher Politiker eine – im Sinne der DDR – positive oder zumindest akzeptable Entscheidung traf, dann war er in der Regel dazu „gezwungen“. Die Absicht lag klar auf der Hand: von sich aus konnte ein „Feind des Sozialismus“, der ja immer „Klassenfeind der Arbeiterklasse und ihrer Partei“ blieb, nie vernünftig handeln…. Mitunter stand scharfe Polemik direkt neben scheinbarer Sachlichkeit: „Die USA-Imperialisten bombardierten skrupellos Städte und Dörfer“ (in Vietnam) und kurz danach – im gleichen Artikel (!): „Die Regierung der Vereinigten Staaten verpflichtet sich…“.

DDR-FlaggeWenn der Gegner keine direkte persönliche Angriffsfläche bot oder eben gerade Verhandlungspartner war, nutzte man die Formel „gewisse imperialistische Kreise.“ Diese Formel war sprachlich ganz geschickt gewählt und bot gleich mehrere Vorteile:

  • Sie blieb anonym und „attackierte“ niemanden persönlich.
  • Sie konnte durchaus das Denken von vielleicht nicht wenigen DDR-Bürgern in die gewünschte Richtung lenken: „Monopolkapitalisten, Hintermänner, graue Eminenzen.“
  • Sie ermöglichte die Kontinuität der Polemik gegen das andere System „an sich“ auch in Zeiten politischer Entspannung.

Interessant war die wechselnde Bezeichnung der „Bundesrepublik Deutschland“, die nur höchst selten in den Medien der DDR auch so genannt wurde. Insgesamt drei Begriffe wurden stattdessen verwendet, zumindest zwei davon mit klar polemischer Zielsetzung: Als Reaktion auf die in der Adenauer-Ära, aber auch danach sehr strapazierte „Sowjetzone“, „Ostzone“ oder „Zone“ für „DDR“ erfand man hierzulande den Terminus „Westzone“, hielt allerdings nicht sehr lange daran fest, weil er zur Realität (nämlich der relativ schnellen weltweiten Anerkennung der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches) in einem zu starken Widerspruch stand.

Weitgehend standardisiert und jahrelang benutzt (bis zum Grundlagenvertrag) wurde vielmehr „Westdeutschland“ und zwar undifferenziert, d.h. sowohl polemisch als auch sachlich. In den 70-er Jahren ersetzte man diesen Begriff durch den neuen Standard „BRD“, an dem man bis zum Ende der DDR festhielt, bot er doch verschiedene Vorzüge:

  • Diese Abkürzung war in der Bundesrepublik selbst nicht üblich, galt eher als verfremdet. Somit konnten sich die DDR-Medien sehr bequem „vom Gegner abgrenzen.“
  • Der Begriff ist scheinbar sachlich und kann – da parallel zu „DDR“ gebildet – auch als Anspruch auf die eigene (östliche) Gleichberechtigung interpretiert werden.
  • Man konnte, ebenfalls auf sehr bequeme Weise, den zeitweilig unerwünschten Begriff „deutsch“ vermeiden.

Bis in die Endphase der DDR hinein wurden westdeutsche Städte fast nie ohne den Zusatz „BRD“ verwandt. Man wollte betonen: „Dort, nicht bei uns, in einem fremden Land.“

Ebenfalls interessant war in diesem Zusammenhang der regelrechte terminologische Kleinkrieg um den Begriff „die beiden deutschen Staaten.“ Als die damalige SPD-geführte Bundesregierung nämlich diesen Begriff, der aus der DDR stammte, anerkannt hatte und nun ihrerseits zu verwenden begann, machten die SED-Sprachgewaltigen plötzlich einen Rückzug und sprachen zeitweilig nur noch von „den beiden Staaten in Mitteleuropa“!

DDR-FlaggeDas war 1. Ausdruck einer plötzlichen panischen Angst vor dem Wort „deutsch“ (und damit vor dem Bekenntnis zur sprachlichen, historischen und kulturellen Bindung zum anderen Teil Deutschlands) und 2. dem Bemühen geschuldet, nie und nimmer „die gleiche politische Sprache“ zu reden wie der Hauptfeind im Westen. – Jedoch war auch diesem Terminus keine lange Lebensdauer beschieden. Exakt war er in dieser Form (mit dem bestimmten Artikel) ohnehin nicht, denn es gibt ja noch andere Staaten in Mitteleuropa. Man fand eine neue Formel, die sich unter dem Schlagwort „Abgrenzung“ besser „verkaufen“ ließ: „Nichts verbindet uns mit der BRD“, erklärte Honecker Mitte der 70er Jahre, „als eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Grenze.“ Erstere akzeptierte man notgedrungen, aber letztere machte man so dicht wie möglich…

Einige wegen der parteiamtlichen Vermeidungstaktik – in Bezug auf das Wort „deutsch“ – verwirrte DDR-Bürger wandten sich seinerzeit (zu Beginn der 70er Jahre) in einem offenen Brief an Honecker mit der Frage, ob sie sich noch Deutsche nennen dürften. Damals muss den Genossen Ersten Sekretär ein menschliches Rühren überkommen haben, denn er antwortete ganz jovial: „Ja, ihr dürft, und ihr könnt sogar stolz darauf sein.“ Da sage noch einer, die hohen Herren aus Pankow und Wandlitz seien immer und überall nur strenge Dogmatiker gewesen.

Wenn allerdings die eigene Sache bedroht war, griff man sprachlich schnell wieder zum altvertrauten „polemischen Knüppel“. Ein fast klassisches Beispiel dafür waren die Kommentare zum Prager Frühling des Jahres 1968. In das Feindbild wurden übrigens missliebige tschechoslowakische Politiker skrupellos einbezogen. Da las man dann („Lausitzer Rundschau“ vom 14.-27.8. 1968): „Bonn im Taumel der Revanche“, „die Dressur der Raubkatzen“, „finstere Gestalt“, „sozial-demokratische Kreatur“, „unser Kurs: den Feinden die Faust ins Gesicht“ und als „Krönung“: „Es ist zutiefst human, auf den Klassengegner erbarmungslos einzuschlagen“.

Der Gegner wurde als gefährliches, unberechenbares Raubtier, als Unhold, als Verbrecher dargestellt, mit dem man nicht menschlich umgehen durfte. Deshalb die Forderung nach rücksichtsloser Gewalt, denn anders hätte man (immer aus ideologischer Schwarz-Weiß-Sicht) die eigenen (natürlich „zutiefst humanen“) Werte nicht schützen können. Mithin hatte auch dieser brutal-polemische Stil Methode.

Moralisch anfechtbar war er – aus der Sicht der SED-Führung – schon deshalb nicht, weil man ja nur den „Frieden“ und die „Souveränität“ des „Bruderlandes“ schützte. Da ist an große Vorbilder zu erinnern: In ähnlicher Weise mag – vor mehr als 2000 Jahren – Julius Caesar die Gallier im heutigen Frankreich „befriedet“ und ihre (römische) „Souveränität“ gesichert haben…

DDR-FlaggeIn den 80er Jahren

Parallel zu Honeckers müde gerittenem Steckenpferd „Friedenskampf“ (s.o.) wurde die „Sprache im Dienst“ nicht müde, in einer Zeit neuer Spannungen (Raketenstationierung) den Gegner als potenziellen Kriegsvorbereiter zu diffamieren. Die Stationierung von mehr Raketen in Westeuropa war nun tatsächlich eine „Nachrüstung“, aber diesen Begriff zu verwenden hieße ja zugeben, dass man selbst einen Rüstungsvorsprung hatte. Also nannte man das westliche Vorhaben: „Hochrüstung“ (was es natürlich auch war, aber die eigenen bisher noch höheren militärischen Aufwendungen wurden nie erwähnt!).

Dass der Brüsseler Beschluss auch einen Abrüstungsvorschlag an den Warschauer Vertrag enthielt, passte wiederum nicht ins polemische Bild, und – da man die „Sprache des Feindes“ („Doppelbeschluss“) ja ohnehin nicht übernehmen durfte (vgl. oben) – wurde der Terminus „NATO-Raketenbeschluss“ geprägt, und das war genau die halbe Wahrheit!
Anerkennend muss im nachhinein festgestellt werden, dass die alte militante Formel „der imperialistische Aggressor wird vernichtend geschlagen“ nun abgelöst wurde von der Einsicht: „In einem künftigen Krieg gäbe es weder Sieger noch Besiegte“.

Im Jahre 1984 verletzte ein südkoreanisches Flugzeug den sowjetischen Luftraum. Es wurde abgeschossen. Soweit die Fakten. Aber mit diesen Fakten tat sich die „Sprache im Dienst“ unendlich schwer. Mit seltsamen sprachlichen Formeln wurde der unangenehme Ausgang des Flugzeugdramas so lange verschleiert, bis es nichts mehr zu verschleiern gab. Drei Tage klammerte man sich an folgende Wendung: „Das fremde Flugzeug drehte ab und verschwand im Dunkel.“ Da war sie wieder, die alte Taktik des Anonymen, ergänzt durch das ominöse, mit negativer Konnotation versehene „Dunkel“, in dem man auch den Leser ließ. Immerhin war diese Darstellung so unscharf, dass die Sprachschöpfer sich weitere Erklärungen offenhalten konnten.

Als die oben erwähnte sprachliche „Null-Lösung“ auch infolge der westlichen Berichte unhaltbar wurde, rückte man erstmalig mit der Halbwahrheit heraus: „Es wurden Maßnahmen eingeleitet, um den Weiterflug zu unterbinden.“ Aha, mag sich der biedere DDR-Leser gesagt haben, da wird man wohl die Maschine zur Landung gezwungen haben. Die Westpresse aber ließ nicht locker, und so kam die – sozialistisch verbrämte – Fast-Wahrheit ans Tageslicht: „Die sowjetischen Sicherheitskräfte mussten das feindliche Flugzeug abschießen.“ Eine andere Lösung wurde nunmehr ausgeschlossen, die Bundesgenossen „mussten“ zur härtesten Maßnahme greifen, und das ließ sich moralisch rechtfertigen, ging es doch gegen den „Feind“.

Am Schluss dieses Kapitels möchte ich einen der ältesten und bekanntesten polemischen Begriffe der DDR-Medien näher betrachten, nämlich den berühmt-berüchtigten „antifaschistischen Schutzwall“. Er entstand mit dem Bau der Mauer im August 1961 als politische Rechtfertigung einer Anlage, die von Anfang an die eigene Ohnmacht demonstrierte. Nun war es ganz interessant zu beobachten, dass man zwar an diesem alten, aus der Zeit der undifferenzierten Schwarzweiß-Malerei stammenden und historisch völlig falschen Begriff festhielt, ihn aber im Gegensatz zu anderen „zu Tode gerittenen“ sprachlichen Gebilden nicht zu oft offiziell wiederholte.

Der „antifaschistische Schutzwall“ („Wall“ gehört zu einer stilistisch höheren Ebene als „Mauer“) erlebte aber zumindest an den Jahrestagen des Mauerbaus immer wieder seine (beabsichtigte) Renaissance und das auch noch 1989! Die DDR, so wurde suggeriert, habe sich vor einem quasi-faschistischen Feind, der – wie es hieß – „mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor marschieren“ wollte, nur durch ein solches Bollwerk schützen können. In Zeiten relativer Entspannung (vgl. oben) begnügte man sich mit sachlicheren Begriffen wie „Grenzsicherung“ und „Staatsgrenze“.

Das Wort „Mauer“, sowohl in den westlichen Medien als auch in der DDR-Umgangssprache üblich, wurde nie offiziell verwendet. Es war halt „das Wort des Feindes“! So haben die DDR-Machthaber einen Begriff konserviert, der nur einen Zweck hatte: Er sollte ein Bauwerk des kalten Krieges politisch und moralisch rechtfertigen.


5. Der Untergang der Sprache im Dienst Ende 1989-1990

In seiner Festansprache zum 40. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1989 erstieg Honecker – nun wirklich zum allerletzten Mal – die völlig realitätsfremd gewordenen luftigen Höhen einer Jubelsprache, die mit den Problemen des Lebens und der Krise von 1989 nichts mehr zu tun hatte. Sieben Adjektive wurden bemüht, den ziemlich maroden Staat DDR zu feiern. Und siehe: die Klarheit und Weisheit der Parteibeschlüsse umleuchtete Erich und er sprach: „Die DDR wurde zum weltweit geachteten, stabilen und dynamischen sozialistischen deutschen Staat mit moderner, leistungsfähiger Volkswirtschaft.“ „Stabil“ und „dynamisch“ waren dabei Synonyme der von Honecker geprägten Zauberformel von „Kontinuität und Erneuerung“.

Etwas müde klatschten die Genossinnen und Genossen. Jede und jeder wusste: Der letzte rhetorische Kraftakt des Saarländers ging ins Leere, denn das einzige der Wahrheit noch völlig entsprechende Adjektiv war „deutsch“.

Agonie einer gelenkten Sprache! Sie endete im völlig Absurden: Honecker wollte – nun doch „dem Volk aufs Maul schauend“ – wenigstens das herbeireden, was er seit Jahr und Tag (im Widerstand gegen die Erneuerungsversuche Gorbatschows) zu verhindern versucht hatte, nämlich einen „historischen und langfristigen Prozess tiefgreifender Wandlungen und Reformen.“

Aber in diesem Sinne „griff“ nun nichts mehr, nur die mahnenden Worte Gorbatschows blieben bis heute in Erinnerung: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Als dann das letzte Stündchen des Oststaates schlug, hatte sich die „Sprache im Dienst“ weitgehend ins Nichts aufgelöst. Sprachlich waren die Barrieren zwischen der alten parteiamtlichen Sprache des Ostens und der mehr saloppen politischen Sprache des Westens gefallen – das war wohl auch der Grund dafür, dass zunächst wenig Interesse bestand, die sprachliche „Erblast“ des kommunistischen Systems wieder aufzuarbeiten. Inzwischen ist ein gewisses Interesse wieder da – ich hoffe aber sehr, dass eine wie auch immer geartete „Nostalgie“ dafür nicht verantwortlich ist. Nostalgie hat die „Sprache im Dienst“ nun wirklich nicht verdient […].

Diesen Vortrag hat Dr. Balzer auf der Bundesdelegiertenkonferenz des Vereins Deutsche Sprache 2002 in Bautzen gehalten. Das HDS dankt ihm für die Genehmigung zur Übernahme des Textes und dem Sprachrettungsklub Bautzen/Oberlausitz e.V.“ für die Vermittlung (www.sprachrettungsklub.de).