Deutsch als Wissenschaftssprache
Aktuelles und Ausführlicheres zu diesem derzeit heftig diskutierten Thema findet sich im Netzauftritt des „Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache e.V.“: www.adawis.de.
Für den folgenden Beitrag dankt das HDS Herrn Prof. Dr. Edel. Es handelt sich um die Zusammenfassung eines Vortrags, den er am 2. April 2008 in Berlin gehalten hat.
Die Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil der Kultur einer Nation. Die verschiedenen Nationalsprachen Europas haben sich seit dem frühen Mittelalter herausgebildet. Ihre Entwicklung erfolgte nicht vollkommen unabhängig voneinander, sondern sie beeinflussten sich gegenseitig – in unterschiedlichem Maße mit unterschiedlichen Wirkungen. Das tun sie heute noch.
Vor mehr als eintausend Jahren trat neben die damals entstehenden Nationalsprachen das Lateinische als gelehrte Zweitsprache. Damals war Latein, die Sprache des (längst untergegangenen) antiken Römischen Imperiums, nicht mehr die Muttersprache eines bestimmten Volkes, sondern eine sogenannte tote, sich trotzdem weiterentwickelnde Sprache.
Latein war das Mittel der Verständigung in der christlichen Kirche und zwischen den Angehörigen der im Mittelalter entstandenen Universitäten. Um die (auch übernationale) universitäre Verständigung zu gewährleisten, stand am Anfang des Studiums die Grammatik, d.h. das Erlernen der lateinischen Sprache.
Die unangefochtene Dominanz der lateinischen Sprache währte an den deutschen Universitäten bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Versuchen, Deutsch als Sprache der akademischen Lehre durchzusetzen, war zunächst kein Erfolg beschieden.Am 24. Oktober 1687 jedoch leitete der Philosoph und Rechtsprofessor Christian Thomasius mit der Ankündigung einer Vorlesung in deutscher Sprache am Schwarzen Brett der Universität Leipzig eine grundlegenden Veränderung ein. Latein begann, seine übergeordnete Bedeutung als Sprache der Wissenschaft zu verlieren. Kaiser Joseph II. verfügte am 12. Juli 1784, dass in den deutschsprachigen Gebieten des Habsburgischen Herrschaftsbereichs (im Kern: Österreich) die akademische Lehre fortan auf Deutsch zu erfolgen habe.Derweil begannen die Wissenschaften, sich stärker in Akademien, also außerhalb der Universitäten, zu entwickeln. Letztere verharrten oft in mittelalterlicher Gelehrsamkeit und verloren so an Bedeutung. Erst seit etwa 1810, seit der Gründung der Berliner Universität nach den Vorstellungen Wilhelm von Humboldts (heute: „Humboldt-Universität“), kam neues Leben in die Universitäten. Die akademische Lehre diente nun nicht mehr ausschließlich der Weitergabe überlieferten Wissens, sondern sie wurde unmittelbar mit der Forschung, mit der Suche nach neuem Wissen verknüpft.Die langfristige Folge dieser Hochschulreform, auch vieler Initiativen einzelner Wissenschaftler sowie der staatlichen Hochschul- und Wissenschaftsverwaltung, war ein bis dahin nie erlebter Aufschwung der Wissenschaften und der Universitäten in Deutschland: Internationale Vereinigungen wurden durch die Initiativen deutscher und deutschsprachiger Forscher und staatlicher Institutionen gegründet und durch letztere sowie durch die Wirtschaft stark gefördert. Damit trat Deutsch im 19. Jahrhundert als Sprache der Wissenschaft international in Erscheinung, stärker als (oder doch wenigstens gleichwertig neben) Englisch und Französisch. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war es unmöglich geworden zu forschen, ohne auf deutsche wissenschaftliche Publikationen zurückzugreifen. Die deutschen Universitäten waren Anziehungspunkt für rund die Hälfte aller Auslandsstudenten weltweit und – besonders wegen der Verbindung von Forschung und Lehre – Vorbild für die Universitäten anderer Länder. Die Erfolge der deutschen Wissenschaftler – erinnert sei nur an die Naturwissenschaften und an die Medizin sowie an die von deutschen Wissenschaftlern errungenen Nobelpreise – hatten eine positive Rückwirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Deutschen Reiches. Das wurde im Ausland nicht nur mit Bewunderung, sondern auch mit Neid und Missgunst zur Kenntnis genommen. In der nationalistisch aufgeheizten Atmosphäre zu Beginn des Ersten Weltkrieges entluden sich die aufgestauten Emotionen in extremen Diskriminierungen der jeweiligen Gegenseite und vorbehaltlosen Solidarisierungen mit der eigenen Seite. Den Aufruf „An die Kulturwelt“ vom 4. Oktober 1914
nahmen Wissenschaftler der alliierten Kriegsgegner Deutschlands als Anlass zu der Forderung, nach einem Sieg über die deutschen Truppen die deutschen und österreichischen Wissenschaftler zu entmachten, d.h. sie aus den internationalen Wissenschaftsorganisationen auszuschließen, und die damals deutsch dominierten internationalen Wissenschaftsorganisationen aufzulösen oder durch neue Vereinigungen zu ersetzen. Von deutscher Seite kam es während des Ersten Weltkrieges zu einer Zensur wissenschaftlicher Veröffentlichungen und zu einem Verbot (Embargo), sie – selbst in verbündete Länder – zu exportieren. Dies bedeutete natürlich eine deutliche Schwächung der Stellung, die sich die deutsche Fachliteratur im Ausland zuvor geschaffen hatte. Gleichzeitig wurde die konkurrierende französische Fachliteratur international, beispielsweise in der Schweiz, gestärkt. In den USA führte das Fehlen der deutschen Fachliteratur zu erfolgreichen verlegerischen und akademischen Anstrengungen, diese durch eigene Zeitschriften und Fachpublikationen zu ersetzen.
Nach 1918 wurden die schon während des Ersten Weltkriegs entwickelten Ideen zur Schwächung der deutschen Wirtschaft und Wissenschaft (s. oben) verwirklicht, unter anderem durch den Versailler Vertrag: In den Ländern der alliierten Siegermächte wurden neue internationale Wissenschaftsvereinigungen gegründet, von denen deutsche und österreichische Wissenschaftler ausgeschlossen blieben – zumindest bis 1926, also bis zum Eintritt Deutschlands in den Völkerbund, die Vorläuferorganisation der heutigen Vereinten Nationen (UNO). In der Zeit zwischen den Weltkriegen wirkte Deutschland dem alliierten Wissenschaftsboykott unter anderem durch die Gründung auch heute noch renommierter akademischer Institutionen entgegen, z.B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1920 (damals „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“), des Goethe-Instituts (das 1925 als „Deutsche Akademie“ begann) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (1925). Die Normalisierung der internationalen Wissenschaftsbeziehungen zog sich bis in die 1930er Jahre, teilweise sogar bis in die 50er Jahre hin. Denn einen zweiten Rückschlag für die internationale Bedeutung der deutschen Wissenschaften und damit für Deutsch als internationale Wissenschaftssprache brachten die Hitler-Diktatur und der Zweite Weltkrieg. Verschärft wurde dieser Rückschlag durch den unmittelbar nach 1945 einsetzenden Kalten Krieg. Der führte in den USA zu einer gewaltig verstärkten finanziellen Förderung der Wissenschaften und zum endgültigen Durchbruch des Der politische Verlauf des 20. Jahrhunderts – freilich nicht er allein – hat also die universitäre, wissenschaftliche und sprachliche Stellung Deutschlands in der Welt erheblich beeinträchtigt. Die Attraktivität deutscher Universitäten für ausländische Studierende und damit der Anreiz, die deutsche Sprache zu erlernen, waren, im Vergleich zu den Haupt¬konkurrenten USA, Australien und England, ins Hintertreffen geraten. Das wurde, wenn auch erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, unübersehbar deutlich. In den 1990er Jahren suchten die Bundesregierung und die deutschen Wissenschaftsstrukturen nach Wegen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. 1997 beschloss z.B. die deutsche Kultusministerkonferenz der Bundesländer (KMK), die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandorts Deutschland durch die Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen zu stärken, um unseren Anteil an den rund zwei Millionen international mobiler Studenten wieder zu steigern. Dazu schienen fast alle Mittel akzeptabel zu sein, und viele waren und sind es ja. Aber auch der Verzicht auf unsere Sprache? Zur Stärkung ihrer Attraktivität für ausländische Studierende bieten deutsche Hochschulen jetzt Lehrveranstaltungen in Englisch an, von (unvollkommen englischsprechenden) deutschen Professoren für (ebenso unvollkommen englischsprechende) deutsche und, unter ihnen, hoffentlich ein paar ausländische Studenten. Wird dieser Verzicht auf unsere sprachliche Identität andere vom Wert unserer Wissenschaft überzeugen? Das Gegenteil ist wahrscheinlicher. Erinnert sei hier daran, was deutsche Bildungspolitiker 1999 in Bologna unterzeichneten: „Wir verpflichten uns hiermit, diese Ziele [der Bologna-Deklaration zur Harmonisierung der Studienabschlüsse in der Europäischen Union] – im Rahmen unserer institutionellen Kompetenzen und unter uneingeschränkter Achtung der Vielfalt der Kulturen, der Sprachen, der nationalen Bildungssysteme und der Autonomie der Universitäten – umzusetzen, um den europäischen Hochschulraum zu festigen.“ Daran, wie sie mit den von ihnen selbst verantworteten Deklarationen in der Realität umgehen, sollten wir unsere Politiker messen! |