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Ilse Achilles, Gerda Pighin: Duden – Vernäht und zugeflixt!

Von Versprechern, Flüchen, Dialekten & Co.

 Ilse Achilles, Gerda Pighin: Duden - Vernäht und zugeflixt! Von Versprechern, Flüchen, Dialekten & Co.Ein Sträußchen Stilblüten? Da kommt’s auf die Reihenfolge nicht an. Juxbücher schlägt man einfach irgendwo auf. Voilà: „Versaleszett“.

Versales was? Versprecher? Fluch? Dialekt? Muss wohl in die Kategorie „& Co.“ gehören – wie vier Fünftel dieses ernsten Sachbuchs mit blödsinnigem Titel.

Doch zuerst des Rätsels Lösung: (der) „Versal“ ist ein anderes Wort für (die) „Majuskel“ oder für „Großbuchstabe“. Wer „groß“ in Versalien schreiben will, hat ein Problem. GROß? GROSS? Das erste sieht schief aus, das zweite widersetzt sich den neuen Rechtschreibregeln. Deswegen, haben die Autorinnen in der Zeitung gelesen, sucht das „Deutsche Institut für Normierung“, DIN, nach einem „Versal-Eszett“. Müssen die bisher ß-freien Schweizer mal wieder an die Urnen?

Vier Fünftel des Buches bieten, auch dem Laien verständlich, Einblick in die moderne Sprachwissenschaft. Die zwölf Kapitel behandeln so unterschiedliche Themen wie

–    Sprachwandel („Der Pabstbesuch war geil!“)
–    Generationen- und Gruppensprachen („Peace, Alter, …“)
–    Dialekt und Hochsprache („Dialekt sprechen nur die Dummen?“)
–    Frühes Erlernen von Fremdsprachen („Je früher, desto besser!“)
–    Was ist Schrift und wie lernt man zu schreiben?
–    Fremdwörter und fremde Wörter („Keine Angst…“)
–    Gebärdensprache („Das Geheimnis der fliegenden Hände“)
–    Maschinelle Spracherkennung und Übersetzung

und, wie auf dem Einband versprochen,

–    Himmelherrgottsakranochamal! Was Fluchen mit Nationalität zu tun hat
–    Hier freute irrt

Natürlich steht die deutsche Sprache im Mittelpunkt, doch der Blick richtet sich stets auch auf andere Sprachen. Das macht vieles deutlicher. Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es ja schon bei der Sprachwahrnehmung in den ersten Lebenswochen, bei den ersten eigenen „Verlautbarungen“ („Babys lallen in ihrer Muttersprache“). Wie sich die Relation zwischen Gehörtem und Buchstabiertem von Sprache zu Sprache unterscheidet, so müssen auch die Erstklässler überall mit unterschiedlichen Schwierigkeiten fertigwerden. – Auch die Gebärdensprache ist durchaus nicht weltweit einheitlich.

Das wird alles anschaulich an einer Fülle von Beispielen dargestellt und analysiert. Die beiden Autorinnen (jede hat sechs Kapitel verfasst) stehen der akademischen Sprachwissenschaft nahe. So können sie nicht umhin, gelegentlich auf Unterschiede bei den Forschungsergebnissen und in der Lehrmeinung hinzuweisen.

Dennoch, die universitäre Sprachwissenschaft ist für sie die allein zuständige Instanz auch in sprachpolitischen Fragen. Schon das Vorwort spricht herabsetzend von „selbst ernannten Sprachpfleger[n]“und das erste Kapitel ausgrenzend von „vielen Bedenkenträgern in Sachen Sprachverfall“. Schade!

Achilles und Pighin selbst neigen deutlich der nur beschreibenden Richtung zu, warnen vor Strenge und Normierung. Laufen lassen! ist ihre Devise. Das geht bis zur übertriebenen Anbiederung der Autorinnen an diverse Formen der Jugendsprache und zum hemmungslosen Gebrauch von Anglizismen in ihrem Text. (Andererseits befleißigen sie sich altmodischer Ehrerbietung, wenn sie die Verfasser/innen zitierter Fachliteratur ständig mit ihrem Titel anführen, „Professor“ Monika Rothweiler bis zu dreimal pro Seite. Das nervt ein wenig.)

Dennoch, das Buch ist allen zu empfehlen, denen das weite und facettenreiche Thema „Sprache“ am Herzen liegt und die mehr darüber wissen wollen.

CS

Ilse Achilles, Gerda Pighin: Duden – Vernäht und zugeflixt! Von Versprechern, Flüchen, Dialekten & Co., Mannheim 2008. ISBN 978-3-411-70356-2, 192 S., 12,95 Euro.