Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Oktober 2008

Geld, gereimt

Die Wahl unseres Oktober-Gedichts folgt zur Abwechslung nicht dem Vorschlag eines HDS-Gastes, sondern geht auf eine Anregung der Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ zurück. Als das Ausmaß der internationale Finanzkrise und die Mitschuld geldgieriger Bankiers nicht mehr zu übersehen waren, druckte diese Zeitung am 8. Oktober auf ihrer Titelseite das folgende Gedicht.

Hymnus auf die Bankiers

Der kann sich freuen, der die nicht kennt!
Ihr fragt noch immer: Wen?
Sie borgen sich Geld für fünf Prozent
und leihen es weiter zu zehn.

Sie haben noch nie mit der Wimper gezuckt.
Ihr Herz stand noch niemals still.
Die Differenzen sind ihr Produkt.
(Das kann man verstehn, wie man will.)

Ihr Appetit ist bodenlos.
Sie fressen Gott und die Welt.
Sie säen nicht. Sie ernten bloß.
Sie schwängern ihr eignes Geld.

Sie sind die Hexer in Person
und zaubern aus hohler Hand.
Sie machen Geld am Telefon
und Petroleum aus Sand.

Das Geld wird flüssig. Das Geld wird knapp.
Sie machen das ganz nach Bedarf.
Und schneiden den anderen die Hälse ab.
Papier ist manchmal scharf.

Sie glauben den Regeln der Regeldetri *)
und glauben nicht recht an Gott.
Sie haben nur eine Sympathie.
Sie lieben das Geld. Und das Geld liebt sie.
(Doch einmal macht jeder Bankrott!)

*) regula de tribus numeris = Dreisatzrechnung

War da jemand in der Wirtschaftsredaktion des „Tagesspiegels“ über Nacht zum Dichter/zur Dichterin geworden?  Kaum, denn dann spräche  die Überschrift sicher von „Bankern“. „Bankier“ sagen heute nur noch wenige. Das klingt ja auch furchtbar un-englisch, geradezu altmodisch französisch.

Das Gedicht muss also älter sein, und das ist es auch. Es stammt nämlich von

Erich Kästner (1899-1974)

und ist 1929, also vor fast 80 Jahren, in der Anfangsphase der katastrophalen Weltwirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts, erschienen.

Das HDS nimmt weder moralisch noch politisch oder finanzwirtschaftlich Stellung zum Geschehen unserer Tage. Am Beispiel dieses Textes möchte es aber zeigen, dass Gedichte durchaus nicht nur Gefühle, die Schönheiten der Natur oder Religiöses beschreiben, sondern immer wieder auch aktuelles Geschehen, Kritik am Zeitgeist, Hoffnungen und Missstände in der Gesellschaft zum Gegenstand haben können.

Schon unsere mittelalterlichen Dichter verfassten nicht nur Minnelieder, sondern auch politische Lyrik, z.B. wahre Tiraden gegen den Pabst in Rom, wenn er sich in die weltliche Politik einmischte. Die Barockdichter des 17. Jahrhunderts beklagten die Schrecken des 30-jährigen Krieges. Aus den Gedichten unserer Klassiker lässt sich so manches über ihre Einstellung zur französischen Revolution, dann auch zu Napoleon herauslesen. Demokratische und vaterländische Ideen beherrschten einen Gutteil der Lyrik des 19. Jahrhunderts (Vgl. Heinrich Heine und sein Gedicht des Monats Juni 2008). Allmählich meldete sich auch Kritik an sozialer Ungerechtigkeit dichterisch zu Wort. Mehr oder weniger militant-patriotische Gedichte begleiteten die Gründung  des Deutschen Reiches (1871) und seine ersten Jahrzehnte bis in die Zeit des Weltkriegs 1914-18.Portrait Erich KästnerErich Kästner, gezeichnet von seinem Freund Erich Ohser

 

Nach dessen Ende wurden aktuelle soziale und politische Fragen immer stärker zu Themen der Lyrik. (Das gilt auch für die Dichtung in anderen Sprachen.) Bertolt Brecht (1898-1956) betrachten viele als den größten politischen Lyriker deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Er hat – im Exil auf der Flucht vor den Nazis – in seinem 1939 veröffentlichten Gedicht „An die Nachgeborenen“ die Politik geradezu zum Pflichtthema der Dichtung erhoben: Brechts Dreigroschenoper (Titelblatt)

[…]
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
[…]

Das HDS hat keine Genehmigung zur Wiedergabe 
des Gedichts erhalten, gefunden hatten wir es hier.
Es ist übrigens – zurück zum Thema Finanzen – auch Brechts Mackie Messer, der in der „Dreigroschenoper“, 1928, die rhetorische Frage stellt: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Gedruckte Erstausgabe

Vereinfachend kann man die politische Lyrik des 20. Jahrhunderts in drei Hauptgruppen einteilen: die kritisch-beobachtende und sozial mahnende, die unverhohlen propagandistische (man denke an die unsäglich plumpen Reimereien aus dem Umfeld des Nationalsozialismus und des Kommunismus) und schließlich die satirisch-unterhaltende.

Zur letzten Gruppe gehört ein großer Teil von Erich Kästners Gedichten. Sie kleiden ernste Gedanken in ein heiteres Gewand. „Lachend die Wahrheit sagen“ war ein Rat des altrömischen Dichters Horaz (ridendo dicere verum) – wohl weil die Wahrheit auf diese Weise leichter „an den Mann“ zu bringen ist, nicht gleich auf gelangweilte Abwehr trifft.

Dem 20 Jahrhundert verdanken wir auch das politische Kabarett – zuerst in einem theaterartigen Milieu, später zunehmend im Rundfunk, seit etwa fünfzig Jahren vorwiegend im Fernsehen. Die schnelle Pointe und das szenisch Darstellbare haben hier längst die Oberhand gewonnen. Doch auch auf gedicht- oder lied-artig gereimte Kabarett-Texte reagiert das Publikum noch immer mit nachdenklichem Lachen. – Eine Sonderform gereimter Polit-Satire oder Verspottung ist auch bei Karnevals- bzw. Faschingsveranstaltungen beliebt.

Beim Gedicht des Monats (s.o.) geht’s um den trickreichen Umgang mit Geld, viel Geld – heute so aktuell wie schon vor 80 Jahren. Offenbar gab es damals auch schon die sogenannten Steuer-Oasen – Länder, in denen man sein Kapital vor dem Finanzamt verstecken kann und die alle kennen. Auch das läßt sich in Versen anprangern. HDS-Besucher Alexander M. in Bonn verdanken wir diesen Hinweis:

Klaus, der Sohn von Thomas Mann, hat 1933 hat die folgenden Verse (und noch einige mehr) für das politische Kaberett „Die Pfeffermühle“ verfasst. Die HDS-Freunde in Liechtenstein mögen uns nachsehen, dass wir an dieses „Märchen aus uralten (?) Zeiten“ erinnern.

In unserm Erdteil steht es kläglich.
Man ist mit uns nicht mehr galant.
Die Steuern nehmen überhand.
Es ist schon bald nicht mehr erträglich.

Das Land, in dem man Milch und Honig schlürfte,
Wir suchen’s alle, doch wir finden’s kaum –
Drum gaukeln wir uns vor im Traum,
Als ob es so was wirklich geben dürfte.

Ach, wenn ich es im Wachen wiederfände –
Da ist es hübsch und angenehm zu sein!
Der Flüchtling findet hilfsbereite Hände.
Er kauft sich ein.
Kann so was sein?
Jawohl: in Liechten – meinem Liechtenstein.

Da liegt das Land in hochrentablem Frieden,
Wo mich nichts stört und peinigt und verdrießt.
Und wer den Eintritt aufbringt, der genießt,
Und nichts wie Fröhlichkeit ist ihm beschieden.

Woanders Zähneklappern und Geschlotter –
Doch auf der Alm da gibt’s kein Sünd,
Weil hier doch ALLE Hinterzieher sind. –  [usw.]

1959 brachte Erich Kästner einen Neudruck seiner ersten Gedichtsammlung „Herz auf Taille“ von 1928 heraus. Im Vorwort rechtfertigt er dies auf seine humorvolle Art und sagt dabei etwas Grundsätzliches zur Gattung „Gedicht“:

„Gedichte altern anders als wir. Wir werden älter, indem wir uns von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr verändern. Gedichte altern, ohne daß ihnen auch nur ein Haar ausfällt. Sie sehen aus wie ehedem. Als meine Kollegin Oda S. eines schönen Tages von einer ihr scheinbar völlig Unbekannten aufs herzlichste begrüßt worden war, wandte sich Oda an mich und fragte: ‚Wer war denn das?‘ ‚Blandine E.‘, sagte ich, ‚sie war zwölf Jahre in Hollywood. Kennst du sie denn nicht?‘ – ‚Das war Blandine?‘ rief Oda verblüfft. ‚Nie hätte ich sie wiedererkannt! Sie hat sich ja überhaupt nicht verändert!‘ Ob es meinen alten Lesern mit meinen alten Gedichten ähnlich ergehen wird?“

Wie geht es heutigen Leserinnen und Lesern mit diesem achtzig Jahre alten Gedicht aus der Sammlung „Herz auf Taille“?Titelblatt "Herz auf Taille"Titelblatt „Herz auf Taille“

Die Zeit fährt Auto

Die Städte wachsen. Und die Kurse steigen.
Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.
Die Konten reden. Die Bilanzen schweigen.
Die Menschen sperren aus. Die Menschen streiken.
Der Globus dreht sich. Und wir drehn uns mit.

Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken.
Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei.
Minister sprechen oft vom Steuersenken.
Wer weiß, ob sie im Ernste daran denken?
Der Globus dreht sich und geht nicht entzwei.

Die Käufer kaufen. Und die Händler werben.
Das Geld kursiert, als sei das seine Pflicht.
Fabriken wachsen. Und Fabriken sterben.
Was gestern war, geht heute schon in Scherben.
Der Globus dreht sich. Doch das sieht man nicht.

In diesem Bändchen finden sich viele weitere Reim-Satiren zu damals, zum Teil heute noch, aktuellen Themen. Doch Kästner konnte auch heiter dichten, ohne zu spotten. Immer wieder beobachtet er liebevoll die einfachen Leute und versucht, ihre Gedanken und Gefühle zu erahnen. Wenn er sich dabei gelegentlich  auch ihrer unbeholfenen Sprache bedient, dann nicht, um sie lächerlich zu machen, sondern aus Mit-Gefühl.

Epistel eines Dienstmädchens
namens Bertha

Geliebter Franz Ich will es dir blos schreiben
Das ich den Freitag doch nicht kommen kan.
Die Frau vereißt. Ich mus zuhauße bleiben.
den Kindern wegen. und bei ihren Mann.

Du darfst mir Letzteres nicht Übel nehmen
denn Dienst ist Dienst, dafor wird man bezahlt.
und bleib mihr treuh, sonst müstest du dich schemen.
auch wird die Küche neu und blau bemahlt.

Ich werde dabei immer an dich denken.
Ich hab doch wirklig wie man sagt Mallöhr.
Wirst du mir auch das Silberhalsband schenken?
Kauf es nur bald sonst hat er es nicht mehr.

Und ach, willstu um zwölf vorn hause warten?
du kanst auch feifen wenn du feifen kanst.
Mir bumeln dann ein bisjen mang den Garten.
stadt das du fremd gehst und mit andern tanzt.

Wenn du nicht da bist werde ich mir ärgern.
Auch Bänke sind im Garten, sühser Franz.
Und see ich dich noch einmahl mit der Bergern
dann is es auß von mir auß. foll und gans.

Die Gnädje will drei Autohs hohlen laßen.
Weil sie neun Koffern mit auf reißen nimt.
Ich meine das auch in den beßren Klassen
nich egal alles wie es sein soll stimt.

Na darin soll man sich nicht zu seer mischen
Ein jeder tuht was er nicht laßen kan.
Nur wenn sie unsereins dabei erwischen
dann schnauzen sie als ging es ihnen an.

Die Gnädje brillt ich muß die Koffern pakken.
Mein Bruder kauft mir einen roten Hut.
Ich küße dir im Geihst auf beide Bakken.
Das Silberhalsband steht mir sicher gut.

"Emil und die Detektive" "Das doppelte Lottchen" "Das fliegende Klassenzimmer"

So amüsant es auch immer wieder ist, in Kästners Gedichten zu lesen – berühmt. ja weltberühmt haben ihn seine Romane gemacht, und unter denen besonders die über und für Kinder. Sie wurden verfilmt, einige mehrmals, und in viele Sprachen übersetzt. Ihre Sprache ist von großer Klarheit und schon für Zwölfjährige ohne Mühe zu verstehen und auch für Achtzigjährige noch ein Vergnügen.

Die Inhalte sind unkompliziert und geradlinig erzählt, aber nie langweilig – oft sogar spannend.

Doch das Beste sind, wie in den Gedichten, Kästners Gespür für die Situationskomik des Lebens und sein allenthalben aufblitzender Wortwitz, der Alltagsgrauem Farbe gibt. – Wer Lust darauf hat – Kästners Romane (es gibt auch ein paar speziell für Erwachsene, etwa „Fabian“ oder „Drei Männer im Schnee“) findet man heute – anders als in bücherzensierenden Zeiten oder Teilen Deutschlands – in allen Buchhandlungen und Leihbibliotheken.