Haus der deutschen Sprache
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Horst Michael Hanika: WortSchatz

Woher die deutschen Wörter kommen

H. M. Hanika: WortSchatz“Bagatelle“, “Börse“, “Bandit“. Man ahnt, solche Wörter haben sich unsere urgermanischen oder mittelalterlichen Ahnen nicht aus dem Ärmel des eigenen Bärenfells oder, später, des Bauern- oder Handwerkerkittels geschüttelt. Die müssen sie sich aus anderen Sprachen geholt haben.

Aus welchen? Und wie?

Die Antwort findet man meist in einem etymologischen Lexikon, also in einem von mehreren “Herkunfts-Wörterbüchern“. Ein paar stellt das HDS vor – unter Wortgeschichte bei Rat in Sprachfragen. Man kann neuerdings aber auch einfach mal schnell bei rat(at)hausderdeutschensprache.eu nachfragen.

Hanika hat mehr und vor allem Unterhaltsameres geschaffen als ein bloßes Nachschlagewerk. Bescheiden verschweigt der Untertitel des Buches die Hälfte dessen, was der Autor hier zusammengetragen hat. Das lassen schon die Innenseiten des Einbands ahnen. Manchmal verfolgt er die deutschen Wörter rückwärts zu ihrem Ursprung hin. Dann wieder geht er von der ältesten bekannten Form eines Wortes aus und verfolgt dessen Weg, sozusagen vorwärts, durch die Jahrhunderte und die verschiedensten Weltregionen, bis es schließlich bei uns angekommen ist.

"Zucker"

Dabei erfährt man erstens, dass sich das Vokabular auch der uns vertrauteren und modernen Sprachen in gleichem Maße wie das unsere mit fremden Federn schmückt, mit alten und neuen; und zweitens, bei welchen anderen Sprachen diese Wörter sich auf der Reise von ihrem Ursprung bis ins Deutsche verschnauft und wie sie sich dadurch verändert haben.

Der Leser staunt, was er, ohne viel nachzudenken, immer für originalgermanisch oder wenigstens doch als lateinischen, griechischen, französischen, italienischen Ursprungs gehalten hat, obwohl es in Wirklichkeit aus exotischeren, sprich: viel älteren oder ferneren, Quellen stammt.

Die derzeit in der deutschen Sprach- und Imbisszone beliebte “Ciabatta“ – die Sache wie den Namen – verdanken wir den Italienern. Doch die haben das Wort auch nicht selbst erfunden, sondern vor langer Zeit aus dem Türkischen übernommen (“Pantoffel“ – sieht ja auch so aus, das Brötchen der besonderen Art). – Das “Bistro“, diesen Frankreich-Import in Europas Städten, hatten unsere westlichen Nachbarn irgendwann ihrerseits dem Russischen abgelauscht – “eilig, schnell“. Vielleicht haben des Zaren Untertanen damit den napoleonischen Soldaten auf dem ruhmlosen Rückzug Beine gemacht? Быстро, быстро! Dalli, dalli! (Letzteres, liest man bei  Hanika, haben wir uns aus dem polnischen “dalej“ für “weiter!“ zurechtmodelliert.) Kein Wunder übrigens, dass es heute auch in russischen Städten “Bistros“ gibt. Was derart “französisch“ klingt, ist auch in Russland “in“.

An die 140 Sprachen tauchen in Hanikas Text auf. Zum Glück erklärt er die entlegeneren meist kurz. Die “Mitanni“-Sprache oder die “awestische“ gehören halt bei uns nicht zur Allgemeinbildung. Keinen Kontinent gibt es, der nicht jedem der vier anderen sprachlich etwa abgegeben und sich seinerseits bei ihnen bedient hätte. Was war einmal ein “woo-murrang“? Ratehilfe: ein Wort aus der Eingeborenensprache Australiens. Was haben die “Mandarine“, diese altchinesischen Beamten, mit den “Mandarinen“ beim Obst-Marokkaner an unserer Straßenecke zu tun? Hanka erklärt’s.

Was der Untertitel auch nicht sagt und wie er zu ergänzen wäre: “Wohin die deutschen Wörter gegangen sind“. Hoffentlich hat Hanika genau gezählt: “[…] etwa15 Prozent des Polnischen [sind] deutsche Lehnwörter […]“. In dem Maße, wie unser kulinarisches Vokabular von den mediterranen Sprachen geprägt ist, durchsetzen Wörter deutschen Ursprungs die Verwaltungs-, Handwerks- und Militärsprache der slawischen Länder. Hanika zählt viele auf. Der russische “master“ kommt vom deutschen “Meister“, zu dem wir zuvor den lateinischen “magister“ eingedampft hatten. Dass unser “Rucksack“ und der “Kindergarten“, auch die “Schadenfreude“, zum Weltwortschatz gehören, hat sich schon herumgesprochen.

Das Buch ist eine heitere und zugleich hintergründige Plauderei. Nach seiner Lektüre schwirrt einem womöglich der Kopf: “Wie soll ich mir das alles merken?“ Doch dann entdeckt man am Ende das komplette Wortregister und beruhigt sich. Man kann jedes (deutsche) Wort noch einmal nachschlagen. Ein wenig “Lexikon“ ist’s zum Glück also doch.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die sich für die deutsche Sprache und ihren Platz im Welt-Sprachenkonzert interessieren und keine Angst vor Überraschungen haben.

CS

*) Das manierierte große “S“ mitten im “WortSchatz“ (Buchtitel) gefällt dem HDS gar nicht. Es sagt nichts und ist unaussprechbar. Es verunsichert die Rechtschreib-Lernenden so, wie dieselbe Albernheit bei der “BahnCard“ oder der “BürgerIn“ es tut.

Horst Michael Hanika: WortSchatz. Woher die deutschen Wörter kommen. München 2007. ISBN
978-3-7844-3092-8, 239 S., 16,90 Euro