Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats November 2010

 

Wein und Brot

 

Ludwig UhlandMit dem Gedicht WEIN UND BROT baut der Tübinger Ludwig Uhland (1787-1862) gleichsam eine Brücke zwischen den im vergangenen Monat vorgestellten Gedichten über den Wein und einigen Versen über das Brot, die das HDS seinen Besuchern nun vorstellen möchte.

Das Zusammengehören von Wein und Brot, das Uhland hier als weltlichen Genuss feiert, ist freilich nicht seine Entdeckung. Beides, Brot und Wein, hat Christus dem Sakrament des Abendmahls (der “Eucharistie“) als Symbole mit auf den Weg in die Geschichte seiner Kirchen gegeben. Matthäus berichtet im 26. Kapitel, Vers 26-28, vom letzten Abend, den Jesus’ mit seinen Jüngern verbrachte (Luthers Übersetzung):

Da sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments [Bundes], welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.

Auch außerhalb der religiösen Symbolik sind Brot und Wein über die Jahrhunderte zu einem Begriffspaar in der europäischen Kultur geworden, können doch beide zusammen leicht als Bild oder Symbol des menschlichen Bedürfnisses nach Essen und Trinken gebraucht werden. (Dass der Wein dabei allerdings schon über die Grundernährung hinausgeht, zeigt die frühere Sitte, Gefangene “bei Wasser und Brot“ darben zu lassen.)

Friedrich Hölderlin1801 hatte Uhlands Landsmann Friedrich Hölderlin (1770-1843), ein großes, langes, nicht leicht zu verstehendes Gedicht mit dem Titel BROT UND WEIN verfasst. Darin überträgt er, vereinfacht ausgedrückt, diese beiden symbolischen Begriffe als Gegensatzpaar zurück auf die vorchristliche griechische Antike, auf die Menschen und Götter, auf die Erde und den darüber schwebenden Sitz der Götter, den Olymp:

“[…[
Brot ist der Erde Frucht, doch ist’s vom Lichte gesegnet,
Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins.
[…]“

Wollte Uhland, zu einem leichteren Stil, zu konkreter Anschaulichkeit geneigt, mit seinem 1834 verfassten Gedicht Hölderlin irdisch-launig widersprechen: ’Das geht auch einfacher’? Aus Pietät konnte er jedenfalls für sein Gedicht nicht die Überschrift der Hölderlinschen Elegie kopieren. Aus BROT UND WEIN wurde also WEIN UND BROT.

Doch nun zum Brot selbst! Mit einer Zeile seines Gedichts SCHWÄBISCHE KUNDE hat derselbe
Ludwig Uhland den Schatz der deutschen Redensarten um ein geflügeltes Wort bereichert:

Als Kaiser Rotbart *) lobesam
Zum heil’gen Land gezogen kam,
Da mußt’ er mit dem frommen Heer
Durch ein Gebirge wüst und leer.
Daselbst erhub sich große Not,
Viel Steine gab’s und wenig Brot […]

*) Friedrich „Barbarossa“ (1152-90)

BrotDie deutsche Sprache ist reich an Redenarten und Bildern, denen “Brot“ ihren Sinn gibt, gerade weil es ein so elementarer Bestandteil unseres Lebens ist, weil alle es kennen und brauchen. Wer sich anstrengen soll, dem hängen wir den Brotkorb höher. Wer eine brotlose Kunst erlernt hat oder betreibt, muss logischerweise hungern. Wer aber das richtige Fach gewählt hat, wird bald in Lohn und Brot stehen, einem Brotberuf nachgehen können. Der Opportunist gesteht: Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing. Wem es nicht zum Wein reicht, der trinkt Bier – bekanntlich flüssiges Brot. Hartes Brot dagegen kann die Erledigung einer Pflicht sein. Wer sich dabei blamiert, von dem nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot. Milder beurteilen wir den Eigenbrötler.

Aus dem “Vater unser“-Gebet haben wir den Begriff vom täglichen Brot. Die Bibel mahnt indes auch: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Von ihren altrömischen Vorgängern hätten die Regierungen allenthalben lernen können, dass das Volk Brot und Spiele (panem et circenses) von ihnen erwartet. Von Goethe wissen wir:

Wer nie sein Brod mit Thränen aß,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend saß,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte.

Eine zivilgesellschaftliche Organisation bittet erfolgreich um Spenden für die Menschen in armen Ländern, um Brot für die Welt. – Ein Blick über die Grenze: Nicht als Redensart, immerhin aber als Anekdote kursíert bis heute auch bei uns, was der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-78) von einer französischen Prinzessin erzählt hat. Auf den Mangel an Brot der armen Untertanen hingewiesen, habe sie zynisch vorgeschlagen: Wenn sie kein Brot haben –  sollen sie doch Kuchen essen („S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche.“)!

Brot in Europa Für Wein haben die 23 Amtssprachen der Europäischen Union nur 16 verschiedene Vokabeln. Für Brot sind es immerhin 20. Für die Bäckerei im türkisch-sprachigen Teil des EU-Mitgliedstaates Zypern müssen wir uns außerdem “ekmek“ notieren.

Der schlesische Barock-Dichter Friedrich von Logau (1605-55) spielt auf die Überlieferung an, Gott habe Adam aus einem Erdklumpen geformt, und das erklärt ihm die enge Beziehung zwischen dem Menschen und dem Brot:

Das Brot pflegt unsrem Leib am besten zu bekummen;
Das macht, es kummt daher, woher der Mensch genummen.

Dem (meist) heiteren Christian Morgenstern (1871-1914) muss die von Uhland in Umlauf gesetzte Redensart (siehe oben) vertraut gewesen sein. In dem Gedicht STEINE STATT BROT spielt er auf sie an. Seine Phantasie malt ein Schlaraffenland besonderer Art. Weder fließen dort Milch und Honig, noch fliegen einem gebratene Tauben in den Mund. Nicht einmal Kuchen gibt’s – aber Brot satt:

Ja, wenn die ganze Siegesallee
aus Mehl gebacken wäre –
das wäre eine gute Idee,
auf Ehre!

Man spräche zum Hungernden: Iß dich rund
(dein Landesvater will es!)
an Otto dem Faulen, an Siegismund,
an Cicero, an Achilles! Zu Dank zerflösse bei arm und reich
des Mißvergnügens Wolke:
es wäre geholfen auf einen Streich
dem ganzen deutschen Volke.

Ein Loblied sänge der deutsche Geist
vom Pregel bis zum Rheine. –
Gib Kunst, o Fürst, die nährt und speist!
Gib Brot, o Fürst, nicht Steine!

In den beiden letzten Versen, so scheint es, will Morgenstern auch noch rasch auf die Redensart von der “brotlosen Kunst“ anspielen, vielleicht auch auf die Pflicht der Regierung, dem Volk “Brot und Spiele“, etwas zum Essen also und zum Staunen zu geben (siehe oben).

Ernst AnschützDem Thüringer Dichter und Komponisten Ernst Anschütz (1780-1861) verdanken wir die immergrünen Kinderlieder “O Tannenbaum“ und “Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ sowie das Lied von der klappernden Mühle. Die gehört für die heutigen Kleinen nicht mehr zur eigenen Anschauung. Und Müller? Klar doch – der Torschützenkönig der WM. Richtig verstehen sie aber gewiss noch das Reimpaar “Brot / keine Not“:

Es klappert die Mühle am rauschenden Bach.
Klipp-klapp – klipp-klapp – klipp-klapp.
Bei Tag und bei Nacht ist der Müller stets wach.
Klipp-klapp – klipp-klapp – klipp-klapp.
Er mahlt uns das Korn zu dem kräftigen Brot.
Und haben wir solches, so hat’s keine Not.
Klipp-klapp – klipp-klapp – klipp-klapp.

Immer wieder, in der Alltagssprache, in der öffentlichen Rede, auch in der Dichtung ist und war das Brot die Kurzformel für die materiellen Grundbedürfnisse der Menschen. Nicht selten war folglich der hohe Preis des Brotes, gemessen am geringen Lohn, Gegenstand des Aufschreis. Der Aufstand des schlesischen Weber (1844) beschäftigte im 19. Jahrhundert die Literatur und auch der der Bergarbeiter von 1889. Zu denen gehörte der Ruhrkumpel und Dichter Heinrich Kämpchen (1847-1912): Heinrich Kämpchen

WIDER DEN BROTWUCHER

“Mann der Arbeit, aufgewacht!“
Ob du wirkst in Hütt’ und Schacht,
Ob der Webstuhl dich ernährt,
Auf zum Kampf für Heim und Herd!

 

Schaff dir selber Recht und Schutz!
Beug’ dich nicht dem Junkertrutz,
Der noch stets dir Not gebracht –
“Mann der Arbeit, aufgewacht!“Jede Fehde, laß sie ruh’n,
And’res gibt’s für dich zu tun,
Weißt du doch, was dich bedroht –
Wehr’ dem Zoll auf Korn und Brot!
Weib und Kind, dein ganzes Gut,
Schütz’ sie vor des Hungers Wut,
Vor der Sorge Stacheldorn,
Wehr’ dem Zoll auf Brot und Korn!Zeig’ in flammendem Protest
Daß dein Wille stark und fest,
Daß du einig bist im Groll –
Nieder mit dem Wucherzoll!