Gedicht des Monats Juni 2011
Dieses ’Gedicht des Monats’ ist eigentlich kein Gedicht. Es sind die Verse 8435-43 aus dem zweiten Teil von Goethes Faust. Dort tummelt sich, in der “Klassischen Walpurgis-Nacht“, viel Prominenz der griechischen Antike und ihrer Sagenwelt, mittendrin der legendäre Philosoph und Mathematiker Thales (“von Milet“, ca. 625-545 v. Chr.). Der darf hier den anderen seine Theorie vom Wasser als Voraussetzung und Träger alles Lebens in Reimen vortragen.
Diese Theorie ist in ihrem Kern seither nicht infrage gestellt worden. Das konnte sie auch nicht. Sie entspricht unserer alltäglichen Anschauung und zugleich vielfältigen Nachweisen durch die Wissenschaft. Immer wieder hören wir z. B., wie die Raumfahrt sich bemüht, durch das Aufspüren von Wasser Hinweise darauf zu gewinnen, dass Leben auch auf anderen Himmelskörpern, also nicht nur auf der Erde, möglich sei. Ohne Wasser gibt’s kein Leben, nicht auf dem Mars und nicht im Blumentopf.
Zu einem immer wiederkehrenden Motiv der deutschsprachigen Dichtung, gewiss auch der Dichtung in anderen Sprachen, wird das Wasser freilich seltener in dieser grundlegenden Bedeutung, sondern in den vielfältigen Formen, mit denen es unser Leben bestimmt.
Karl Egon Ebert (1801-82), ein deutschsprachiger Dichter in Prag, hat versucht, einige dieser Formen im Gedicht aufzuzählen – vom interkontinentalen Verkehrsweg über das Labsal für alle Kreatur bis zum Trauertröpfchen im menschlichen Auge.
WASSER
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Wasser trägt im Ozeane Tröstend fernhin den Betrübten, Spült im Fluss auf leichtem Kahne Den Geliebten zur Geliebten.Wasser rauscht aus Felsenklüften Als Gesang herab zum Tale, Perlt als Tau aus Morgenlüften In der Blumen Duftpokale. |
Wasser träuft, als milder Regen, Kühlend in die trockne Erde, Wasser labt als Quell an Wegen Wandrer, Hirten, Wild und Herde.Ohne dass es Wasser sauge, Stürb‘ auf Erden alles Schöne, Ach! und nur im Menschenauge Ist das Wasser – eine Träne. |
vielfältigen Funktionen des Wassers aufzählt:
DAS WASSERTRÖPFLEINTröpflein muß zur Erde fallen,
muß das zarte Blümchen netzen´
muß mit Quellen weiterwallen,
muß das Fischlein auch ergötzen,
muß im Bach die Mühle schlagen,
muß im Strom die Schiffe tragen.
Und wo wären denn die Meere,
wenn nicht erst das Tröpflein wäre?
Rowland, emeritierter Professor für deutsche Literatur an der Purdue University in Indiana, USA.
Das HDS dankt Professor Rowland für den Hinweis und bewundert seinen Spürsinn.Die Frage nach dem Verfasser des Gedichts „Das Wassertröpflein“ im „Gedicht des Monats“
Damit scheint das Geheimnis gelüftet zu sein.
Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll, Ein Fischer saß daran, Sah nach dem Angel ruhevoll, Kühl bis ans Herz hinan. Und wie er sitzt, und wie er lauscht, Teilt sich die Flut empor; Aus dem bewegten Wasser rauscht Ein feuchtes Weib hervor.Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm: „Was lockst du meine Brut Mit Menschenwitz und Menschenlist Hinauf in Todesglut? Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist So wohlig auf dem Grund, Du stiegst herunter, wie du bist, Und würdest erst gesund. |
Labt sich die liebe Sonne nicht, Der Mond sich nicht im Meer? Kehrt wellenatmend ihr Gesicht Nicht doppelt schöner her? Lockt dich der tiefe Himmel nicht, Das feuchtverklärte Blau? Lockt dich dein eigen Angesicht Nicht her in ew’gen Tau?“Das Wasser rauscht‘, das Wasser schwoll, Netzt‘ ihm den nackten Fuß; Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll Wie bei der Liebsten Gruß. Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; Da war’s um ihn geschehn; Halb zog sie ihn, halb sank er hin Und ward nicht mehr gesehn. |

Ob das Wasser, wird gefragt, die, die Wasser trincken, nähret?Nährt es nicht, so ist’s doch gut, daß es auch, wie Wein, nicht zehret.

Trink ich´s Wasser, so henk ich´s Maul;Trink ich Bier, so werd´ ich faul:Trink ich Wein, so werd´ ich voll:Ich weiß nicht, was ich trinken soll.
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Ebenfalls scherzhaft, aber durchaus auf der Grundlage bekannter Naturgesetze nähert sich Ingo Baumgartner, der österreichische Dichter (und Lehrer) in Puch bei Salzburg, dem Thema Wasser. Er hat dem HDS freundlicherweise die Übernahme seiner Verse gestattet. Schon deren Überschrift erinnert uns an die Schule. |
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Das Wasser, weiß der brave Schüler, verhält normal sich anomal. Im Winter wird es – fraglos – kühler, ein unsichtbarer Wärmefühler verweist dann auf die Vier als Zahl.Das Hazweio der Oberschichte versinkt bei vier Grad Celsius infolge größter Teilchendichte im Wasser-Sauerstoffgeschlichte zum tiefsten Punkt in See und Fluss. |
Es startet – physikalisch irrend – bei drei jedoch den Gegenlauf, verhält sich weiterhin verwirrend, gefriert zu Eis, zerbricht dann klirrend, und trumpft als Eisbergspitze auf.Aus welchem Grund, so muss man fragen, tut unser gutes Wasser dies? Erfreut es sich an Merkstoffklagen? Ich will die Diagnose wagen, die Flüssigkeit ist schlicht nur fies. |
DAS WASSER
Vom Himmel fällt der Regen, und macht die Erde nass, die Steine auf den Wegen, die Blumen und das Gras.Die Sonne macht die Runde in altgewohntem Lauf und saugt mit ihrem Munde das Wasser wieder auf. |
Das Wasser steigt zum Himmel
und wallt dort hin und her,
da gibt es ein Gewimmel
von Wolken grau und schwer. Die Wolken werden nasser
und brechen auseinand’,
und wieder fällt das Wasser
als Regen auf das Land.Der Regen fällt ins Freie
und wieder saugt das Licht.
Die Wolke wächst aufs neue,
bis dass sie wieder bricht.
So geht des Wassers Weise:
es fällt, es steigt, es sinkt
in ewig gleichem Kreise
und alles alles trinkt.
GESANG DER GEISTER ÜBER DEM WASSER
Des Menschen Seele Gleicht dem Wasser: Vom Himmel kommt es, Zum Himmel steigt es, Und wieder nieder Zur Erde muss es, Ewig wechselnd. |
Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
