Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Juli 2012

Hermione von Preuschen
(1854-1918)

Erwartung

Tagüber hatten sie so geschwatzt,
geraucht und gespielt im Hafen-Café,
Albanesen und Juden, Griechen und Türken.
Dick war die Luft und weiß und schwer,
hemmte den Atem, betäubte den Sinn.
Ich saß dazwischen, scheu in der Ecke,
trank schon den vierten süß-türkischen Mokka.
– – Noch immer kein Schiff – die Stunden zerrannen,
Tropfen für Tropfen im Schneckengang.
Die Sonne sank und die Nacht stieg zum Thron,
herrschte, schwül lastend, mit dunkler Hand
über Ozeanen und Bergen und Welt!
Noch immer kein Schiff, das Schiff mit dir,
das dich, deine Liebe mir bringen sollte,
deine dunkle, süße, betörende Liebe!

Schon tragen die Wasser dich näher und näher …

… So harrte in Träumen ich Stund‘ um Stunde,
fühlt wieder geborgen mich, dir am Herzen,
das Weib im Mann, seiner Welt beschlossen!
… Rings lärmten die Griechen, die Juden und Türken,
und rauchten und schwatzten. Von kläglichen Lampen
nur trüb drang ein Scheinen durch Dünste und Dampf.
Ich träumte von dir und mir klang deine Stimme:
»So ist nun dein Dämon dennoch gekommen.«

Trompetentusch von der Felsenfestung, –
feierlich klingt’s in die Nacht hinaus.
Da naht auch der Fährmann: »Kyria, das Schiff kommt –
Zwölf Stunden Verspätung!«

Ach, auch die Folter wär Wonne gewesen –

harrend auf dich!

Im kleinen Nachen mit anderen Barken
fahr ich zum Koloß mit den farbigen Lichtern.
Und wieder ein dröhnend Trompetenklingen.
So fahr ich hinaus in die Nacht, dir entgegen,
– der Liebe, dem Glück!

– – – – – – – – – – – – – – –

Unter Sprachgewirr, unter drängenden Fremden
such ich vergebens – – – du bist nicht gekommen!

… Und so fahr ich immer dem Glück entgegen
und finde es nie!

Bei der Landung aber, wieder vom Felsen,
feierlich dröhnend, Fanfarenklänge!

Das ist das Leben!

 

 „Erwartung“ erzählt von dem Warten am Hafen auf eine geliebte Person.

Das lyrische Ich sitzt im Hafen-Café zwischen Menschen verschiedenster Nationen und wartet stundenlang auf das Ankommen eines Schiffes. Auf diesem Schiff soll sich die geliebte Person befinden. In dieser Hoffnung vergeht die Zeit, bis schließlich das Schiff mit 12 Stunden Verspätung in den Hafen einfährt und der Wartende erkennen muss, dass seine Hoffnung nicht erfüllt wird: die ersehnte Liebe ist nicht an Bord.

Die Hoffnung des Wartenden wird zerstört und er sieht sich wieder weit weg entfernt von dem ersehnten Glück. Doch er scheint gewiss zu sein, die Hoffnung nicht aufzugeben und beim nächsten Einlaufen des Schiffes wieder erneut nach seiner Liebe zu suchen.

Dieser erzählerisch vermittelte Zyklus des Wartens auf die Liebe, auf das Glück prägt auch die Form des Gedichtes. Es verfügt, einem epischen Text ähnlich, über keine regelmäßige Anordnung von Strophen und Versen und über kein durchgängiges Reimschema.

Äuffällig an dem Gedicht aus dem ersten Gedichtband von Hermione von Preuschen ist die ausgeprägte Zeichensetzung. So stehen Auslassungspunkte zu Beginn eines Satzes und am Satzende, viele Verse enden mit Ausrufezeichen und es wird wörtliche Rede verwendet.

Besonders charakteristisch im Druckbild erscheint die Zäsur mittels einer Linie und ein Einzelvers nach den ersten 15 Versen, sowie zum Abschluss des Gedichtes.

Hermione von Preuschen

Hermione von Preuschen wird am 07.08.1854 in Darmstadt geboren. Im Alter von 15 Jahren beginnt sie das Studium der Marlerei in Karlsruhe. Sie gilt als Erfinderin des historischen Stilllebens und ist berühmt für ihre frühen Blumenbilder und das Werk „Mors Imperator“. Im letzteren wurde ihre Kunstkritik als Kritik an Kaiser Wilhelm I. verstanden und Hermione von Preuschen wegen Majestätsbeleidigung angeklagt.

Gemälde Mors Imperator
„Mors Imperator“ – „Der Tod des Kaisers“

Ihr literarisches Wirken beginnt mit 19, als sie bei dem Schriftsteller und Theaterleiter Gustav zu Putlitz wohnte, der sie zum Schreiben anregt. 1882 heiratet sie den Arzt Oswald Schmitt, von dem sie bereits 1889 geschieden wird. Sie geht eine zweite Ehe mit dem Schriftsteller Konrad Telmann ein und wohnt fortan mit diesem in Rom. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes widmet sie sich intensiv der Schriftstellerei.

Ihr Leben ist geprägt von den zahlreichen Reisen, die sie unternommen hat. Sie reiste viel durch Europa, Indien und trat auch fünf Weltreisen an, die ihr literatisches Schaffen prägten. So malt das Gedicht „Erwartung“ den Hafen als eine Kulisse der Internationalität. Hier trifft der Leser auf „Albanesen und Juden, Griechen und Türken“.

Neben den vier Gedichtbänden veröffentlicht Hermione von Preuschen auch Novellen, Romane, davon der bekannteste „Yoshiwara“ auch einen Reisebericht. Ihre Memoiren werden 1926 unter dem Titel „Der Roman meines Lebens – ein Frauenleben um die Jahrhundertwende“ veröffentlicht.

Im Alter von 64 Jahren stirb von Preuschen am 12.12.1918 in Berlin und wird in Rom beerdigt. Seit 2009 gibt es als Denkmal für diese nur wenig bekannte deutsche Dichterin in Lichterade den „Hermione-von-Preuschen-Platz“.

 Hermione von Preuschens Gedicht „Erwartung“ ist ein Werk der Jahrhundertwende. Veröffentlich wurde es in dem Gedichtband Reginae Vitae 1888.

Die, das Jahr 1900 umrahmenden vier Jahrzehnte sind literarisch eine Zeit der Gegensätze von Konvention und Grenzüberschreitung. Der Epochenbezeichnung der Jahrhundertwende unterliegt nicht einer programmatisch-ästhetische Übereinstimmung, sondern umfasst das Bewusstsein der Zeit in seiner Gegensätzlichkeit und deren Darstellungen.

Namen wie Christian Morgenstern, Friedrich Nietzsche, Stefan George und Rainer Maria Rilke prägen diese Epoche.

Zahlreichen Werken gemein ist das Bewusstsein massiver Veränderungen im Sozialen, Wirtschaftlichen und Technischen, einhergehend mit der Überwindung von Grenzen und der Entstehung eines neuen Lebensgefühls.

Christian Morgenstern verkörpert das neue Lebensgefühl und das Überschreiten von Grenzen in seiner Lyrik, indem er sich Konventionen entzieht und neue Perspektiven auf die Welt und auf die Sprache erhofft.

Stefan George strebte nach einer neuen Poesie und charakterisiert seine Werke durch eine neue Form mit einer eigenen Interpunktion, durchgängiger Kleinschreibung und Neuerungen der Typographie. Diese Elemente befinden sich auch in den Werken Hermione von Preuschens, u.a. die auffällige Interpunktion in „Erwartung“.

Bildquellen: Portrait: Wikipedia, Gemälde: lichtenrade-berlin.de, (gemeinfrei)