Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats August 2012

von Hans Christian Andersen
ins Deutsche übersetzt von Adelbert von Chamisso
Vertont von Robert Schumann, Op. 40

 

Der Spielmann

Im Städtchen gibt es des Jubels viel,
Da halten sie Hochzeit mit Tanz und mit Spiel.
Dem Fröhlichen blinket der Wein so rot,
Die Braut nur gleicht dem getünchten Tod.

Ja, tot für den, den nicht sie vergißt,
Der doch beim Fest nicht Bräutigam ist:
Da steht er inmitten der Gäste im Krug
Und streichet die Geige lustig genug.

Er streichet die Geige, sein Haar ergraut,
Es schwingen die Saiten gellend und laut,
Er drückt sie ans Herz und achtet es nicht,
Ob auch sie in tausend Stückchen zerbricht.

Es ist gar grausig, wenn einer so stirbt,
Wenn jung sein Herz um Freude noch wirbt.
Ich mag und will nicht länger es sehn!
Das möchte den Kopf mir schwindelnd verdrehn!

Wer heißt euch mit Fingern zeigen auf mich?
O Gott, bewahr uns gnädiglich,
Daß keinen der Wahnsinn übermannt.
Bin selber ein armer Musikant.

 

Spillemanden

I Landsbyen gaaer det saa lystigt til,
Der holdes et Bryllup med Dands og Spil;
Der drikkes Skaaler i Viin og Mjød,
Men Bruden ligner en pyntet Død.

Ja død hun er for sind Hjertenskjær,
Thi han er ikke som Brudgom her,
I Krogen han staaer med Sorgen sin,
Og spiller saa lystig paa Violin.

Han spiller til Lokkerne blive ham graae,
Hans spiller saa Strængene briste maae,
Til Violinen, med Sorg og Gru,
Han trykker mod Hjertet reent itu.

Det er saa tungt, saa knusende tungt,
At døe mens Hjertet endnu er ungt!
Jej mægter ei længer at see derpaa!
Jeg føler det gjennem mit Hove gaae.

See, Mændene holde ham fast i Favn –
– Men hvorfor nævne I mig ved Navn?
Vor Herre bevare Enhvers Forstand!
Jeg selv er en fattig Spillemand.

 

Der Spielmann (1831) in Hans Christian Andersens Gedicht ist ein Musikant, welcher auf der Hochzeit seiner Liebsten mit einem anderen Mann die Geige spielt. Während die Hochzeitsgäste feiern, trauert auch die Braut dem Geiger nach, der, ihr zum Gram, nicht der Bräutigam ist.

Der Geiger spielt in der Gaststätte, weiterhin um seine Liebste trauernd, lustige Lieder, so kraftvoll er nur kann und nimmt keine Rücksicht auf der Geige Zerbrechlichkeit – bis er alt und grau ist. Dabei erträgt er den Zustand seiner unglücklichen Liebe nicht, die ihm den Kopf verdreht. Die Männer in seiner Gesellschaft halten ihn im Zaum und der Geiger betet für sich und andere, nicht dem Wahnsinn anheim zu fallen.

Die ersten drei Strophen sowie die ersten zwei Verse der vierten Strophe des Gedichts erzählen die Geschichte dieser verlorenen Liebe aus übergeordneter Perspektive. Die Braut wird als mit dem Tod „getüncht“ beschrieben, denn für den Geiger ist sie fortan verloren – im symbolischen Sinne also gestorben. „Er“, der Geiger, hingegen verbringt sein Leben damit, seine Leidenschaft mittels seiner Geige auszudrücken. In der Mitte der vierten Strophe wandelt sich das lyrische Ich in die Person des Geigers und beschreibt seine Verzweiflung wörtlich: „Ich mag und will es nicht länger sehen!“

 

Hans Christian Andersen
Hans Christian Andersen, aufgenommen im Alter von 62 Jahren

Der Schriftsteller, Dichter und Märchenerzähler, Hans Christian Andersen, wurde am 02. April 1805 als Sohn eines ärmlichen Schuhmachers, in Odense auf der dänischen Insel Fyn geboren. Mit 14 Jahren verschlägt es Andersen in die dänische Hauptstadt Kopenhagen, wo er mit Hilfe des Königs, Friedrich IV, die königliche Theaterschule (Det Kongelige Teaters Skole) und anschließend eine Lateinschule, die Schulform des späteren Gymnasiums, besucht.

1833 begibt sich Andersen auf eine große Europareise in dessen Zuge er Frankreich, die Schweiz, Österreich, Italien und auch Deutschland besucht. Dabei trifft er in Berlin auf den späteren Übersetzer einiger seiner Gedichte. Neben Der Spielmann übersetzte Adelbert von Chamisso die Gedichte Der Soldat, Märzveilchen und Muttertraum, welche schließlich von Robert Schumann vertont wurden.

Wieder daheim in Dänemark, veröffentlicht Andersen im Mai 1835 das erste Märchenbuch seiner dreiteiligen Sammlung, mit dem Titel Eventyr, fortalte for Børn (Märchen, für Kinder erzählt) welches unter anderem die Prinzessin auf der Erbse und Das Feuerzeug enthält. Im Dezember folgt das Zweite Heft, doch weil ein zeitgenössischer Dichterkollege Andersen von Geschichten dieser Art abrät, veröffentlicht er den dritten Teil seiner Märchensammlung erst im Jahr 1839, welcher dann Die kleine Meerjungfrau und Des Kaisers neue Kleider enthält, jene Märchen, die hierzulande heute zu den bekanntesten seiner Werke zählen. 1837 veröffentlicht Andersen die Novelle Nur ein Spielmann, die ihn auch außerhalb Dänemarks bekannt werden lässt.
Das Feuerzeug
Das Feuerzeug, Illustration von Anne Anderson

 

Im Jahr 1840 unternimmt Andersen eine weitere Reise, unter anderem wieder nach Deutschland, Italien, Griechenland und in den Orient. Seine Erlebnisse verarbeitet er in dem Buch Eines Dichters Basar und ist immer wieder auf Reisen, bis er am 04. August 1875 in Kopenhagen verstirbt.

Mit der einfachen, auf das Kind ausgerichteten Erzählweise seiner Märchen hat H.C. Andersen entscheidend dazu beigetragen, die Selbstwahrnehmung des Kindes als Individuum zu fördern. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war in der bürgerlichen Gesellschaft ein Bewusstsein für die Individualität des Kindes kaum vorhanden. Dem Kind wurde keine Persönlichkeit zugesprochen, es galt als formbar. Die Erziehungsmethoden konnten dabei durchaus grausam sein, so waren Prügelstrafen ein weitverbreitetes Mittel, um Disziplin zu lehren. Mit der Industriellen Revolution veränderten sich die sozialen Verhältnisse, was sich ebenso auf die familiäre Situation auswirkte. Die Familie verstreute sich zunehmend, so dass Kinder, Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten häufig nicht mehr unter einem Dach wohnten. Bürgerliche Familien begannen, ihren Kindern eigene Zimmer und auch Spielzeug zuzugestehen. So wurde den kindlichen Bedürfnissen mehr Beachtung geschenkt, was dazu führte, dass das Kind zunehmend seine Persönlichkeit entfalten konnte.

Bildnachweise:
Portrait, Thora Hallager (1821-1884), Wikipedia (gemeinfreI)
Das Feuerzeug (The Tinder BGox), Anne Anderson (1874-1930), Wikipedia (gemeinfreI)