Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats September 2012

Anke Fuchs (*1973)
Heimat – Was es ist

Es ist, weil du eben so bist.

Es ist, weil du gerade so gern und genau wie ich am Nachmittag eine Pause machst, mit einem starken heißen Kaffee und einem schwarzen Riegel sehr bitterer Schokolade. Bei dir ist es eben am Abend und ein weniger heißer grüner Tee mit einer deiner Selbstgedrehten, aber es ist doch das Gleiche, und ich weiß, wie es schmeckt.

Es ist, weil du zu manchen Wörtern das gleiche Bild vor deinen Augen hast, das auch vor meinen steht. Bei „Heimat“ sehe ich Felder und rieche einen Küchenduft nach Kartoffeln und Mehl, und vielleicht ist da noch eine Melodie, ein Singsang Gesprächsessenzen, die Stimmen Vertrauter. Du siehst Berge vom Stubenfenster aus, hast eine Melange von Kümmel und Kohl in der Nase, hörst Laute von Tieren, von denen ich mich immer fernhielt – du hast es mir gezeigt, einmal, mir deine Augen geliehen für einen ihrer Blicke lang, so es ist doch das Gleiche, und weiß ich, wie es aussieht, wie es riecht und sich anhört.

Es ist, weil du langsamer läufst, wenn es dämmert – bedachter, zufrieden. Und weil ich frühmorgendliches  Zwitschern vorm Fenster mag und erwachende Orte, und weil des Nachts die Vorhänge offen bleiben, damit die während deiner Lieblingsstunden von Dämmerung und Dunkelheit ausgeschlafene Sonne mir aufs Gesicht zwinkern darf.

Es ist, weil du nicht zuhörst – und versonnen, aber nicht gedankenlos, mit dem Daumen den Stiel des Glases entlang streichst, der keine Naht hat, und weil sich das gut anfühlt am Übergang zur Cuppa und besonders hier gegenüber, angerauscht im Warmen, weil wir mehr nicht brauchen, und weil du genau das denkst, während du nicht zuhörst. Weil du an uns denkst, während du nicht zuhörst.

Denn sagen könnt‘ ich all dies ja noch einmal, aber du nicht ebendies denken in ebendiesem Moment, wenn das Licht genau so ist und der Klang im Ohr, der Geschmack im Mund, die Temperatur des gläsernen Stiels an deinem Daumen. Ich versteh’s.

Es ist, weil du bloß‘n Punkt machst, um mich zu erreichen, ein Lebenssatzzeichen statt vieler Worte, zum Wissen, du bist da. Du machst nur Platz und rückst ein Stück für mich,  die Weichen stehn auf zweisamgleisig.

Es ist, weil du was falsch machst. „Mit einem Gutschein kann man ja nie was falsch machen“, sagen sie, oder mit …Dornfelder. Es ist, weil du‘s aber versuchst und wagst, und schütten wir den Wein auch weg, haben wir doch dies geteilt.

Manchmal muss ich weg. Aber wenn ich das Weite gefunden hab‘, hol‘  ich dich ab und zeig‘s dir.

Oder kehre vorzeitig ob einer Sehnsucht zurück in mein bleibendes Jetzt, das du bist. Und du würdest aufsehn, aufstehn und die Vorhänge öffnen.

Es ist, weil auch die Dinge an ihrem Platz sind. Meine, deine, unsere. Ich lege deine dorthin, wo du sie finden kannst und ich sie niemals suchen würde.

Wir gehn beizeiten andere Wege, tun unterschiedliche Dinge, aber diese jeweils um sagen zu können „Ich habe dir etwas mitgebracht“. Am schwierigsten zu teilen: Gedanken.

Es hat mal ein Erkennen gegeben und nie doch die irrige Annahme von in- und auswendig.

So verort‘ ich mich nicht hier oder dort, find‘ dich manchmal, wo du nicht bist. Kein Platz ein Zuhause, sondern das Wir, ein Ort ohne Raum für ein

Versteck, das ich nicht mal vermisse. Und Heimat ist überall das, was wir verteidigen.

 

„Heimat – Was es ist“ beschreibt ein Gefühl, das allen Menschen gemein und doch bei jedem verschieden ist: das Gefühl von Heimat.

Es setzt sich zusammen aus Düften, Melodien, Szenen und ganz eigenen kleinen Momente, die als besonders empfunden werden.

Heimat ist auch ein Gefühl der Zufriedenheit. Sie ist ein Ort ohne Nöte, der beständig ist und dadurch es immer ermöglicht zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen. Deshalb lohnt es sich, diesen Ort zu verteidigen.

Das Wissen um das Vertraute, um das Beständige ist auch verbunden mit einem anderen Ich. Es ist ein Du, das ein Wir ermöglicht. So können zwei Menschen mit zwei unterschiedlichen Heimaten ein Wir bilden, das für beide Heimat sein kann.

Das Gedicht zeichnet ein Bild von Heimat durch Düfte, Speisen, Erinnerungen. Dadurch scheint Heimat definiert zu werden und doch bleibt es ein Ort ohne Raum, der seine Beständigkeit aus dem Wir erhält.

Die Heimat ist auch ein Ort der Fehler, hier sind sie erlaubt und ein Wagnis kann eingegangen werden. An dieser Stelle wird auch Kritik laut. Es ist eine Kritik am verweigern von Risiken, stattdessen werden scheinbar immer gültige Rituale wiederholt: „’Mit einem Gutschein kann man ja was falsch machen‘, sagen sie, oder mit …Dornfelder“.

Dieses stimmungsvolle Gedicht von 2010 verzichtet dabei auf ein regelmäßiges Reimschema und lässt sich nicht in gleichmäßige Strophen und Verse einteilen. Auffällig ist die Anapher „Es ist“, die durch die siebenfache Wiederholung dem Leser  das Gefühl von Heimat gibt und einen Bezug zu Erich Frieds „Was es ist“ weckt.

 

Anke Fuchs wurde am 18.11.1973 in Wuppertal geboren und lebt heute in Bonn. Sie verfasst Gedichte, Kurzgeschichten und hat 2011 auf der CD „rasendlangsam“ elf gesprochene Texte veröffentlicht.

Foto: Anke Fuchs
Foto: Marc Hubben

Bekannt ist sie vor allem durch den Poetry Slam, einem Dichterwettstreit, der seit den 1980er Jahren immer mehr Anhänger findet.

Als Erfinder des Poetry Slams wird Marc Kelly Smith bezeichnet, der in den USA erste Gedichte bei Jazz-Konzerten vortrug. Seit 1994 breitet sich der Poetry Slam auch in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien aus. Wolfgang Hogekamp organisiert den ersten deutschsprachigen Poetry Slam in Berlin. 1997 fand die erste Meisterschaft statt.

In Deutschland machte unter anderem auch Nora Gomringer den Poetry Slam populär und leistete damit einen Beitrag zur Widerlegung des Vorurteils, dass sich die heutige Generation der Zwanzigjährigen nicht mehr für Sprache interessiere.

Beim Poetry Slam werden bewusst Kneipen und Clubs als Veranstaltungsort gewählt, um sich von den klassischen Lesungen abzugrenzen. Dort tragen Künstler innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens eigene Texte ohne Requisiten vor. Durch das anwesende Publikum entsteht eine eigene literarische Öffentlichkeit.

Foto: Poetry Slam
Foto: VDS e.V.

Die Poetry-Szene ist eine junge Szene, zu der Anke Fuchs verhältnismäßig spät kam. Zwar schrieb sie mit 17 ihre ersten Texte, pausierte dann aber eine ganze Zeit lang und begann 2003 anlässlich der Aachener Literaturtage wieder zu schreiben und vorzutragen. Fragt man Anke Fuchs, was das Schreiben heute für Sie bedeutet, so antwortet sie „für mich steht Schreiben als Prozess im Vordergrund“. Vom Poetry Slam leben kann und will sie nicht, sie begeistert sich für das Schreiben und versucht durch den Poetry Slam ein Stück ihrer Begeisterung für diesen Prozess des Schreibens weiterzugeben.

Seit 2006 tritt sie regelmäßig bei Poetry Slams auf und stand 2008 im Finale des NRW-Slams, 2009 belegte sie dort auch den dritten Platz. Außerdem moderiert sie seit 2007 „PoetryBites – Voll das Lesen“ und ist seit 2011 Mitglied der Lesebühne „Ein Abend namens Gudrun“.

Ihre Texte grenzen sich durch die philosophischen, gesellschaftskritischen Inhalte von den üblicherweise komischen, grotesken Dichtungen beim Poetry Slam ab. „Im Bezug auf Poetry Slam gab es ja auch die Diskussion, ob das Ganze zu comedylastig wird. Ernste Texte sind da einfach seltener. (…) Es geht mir um Abstrahieren und Verdichten, ja das ist eigentlich das, was ich möchte“, begründet Anke Fuchs dies.

Zitate entstammen einem Telefoninterview vom 13.04.2011