Haus der deutschen Sprache
Gedicht des Monats

Gedicht des Monats Oktober 2012

An den Mond (August 1783)
Von Sophie Albrecht

Kaum öffnet die Nacht ihre Hallen;
Purpurn weilt noch
Der Abschied des Abends an ihrer Schwelle;
Die Nachtigall
Beginnt ihr Lied noch nicht
Und das Käuzlein lauschet in seiner Höhle.

Was siehest du so verwundernd
In mein ödes Zimmer? –
Ueberschaue die Wege
Deiner glänzenden Gefährten
Und staune! –

Siehe! der hohe Sirius
Ist kaum am Hügel erwacht,
Und der Stern der Liebe
Glänzt noch in junger Schöne. –
Der Adler beschließt erst seinen Strahlenflug,
Und du wandelst die ersten Schritte
Auf der nächtlichen Bahn.

Dennoch – o Artemis,
Findest du mein Zimmer einsam! –
Er – o verbergt euch, ihr Sterne!
Und du Leuchtende!-
Er – der die Morgenröthe schalt,
Wenn sie unsren Küssen lauschte
In der nächtlichen Laube; –
Der noch wachte in glühender Liebe,
Wenn ihr eure Kammern schlosset: –

Er schläft schon! –
Er schläft –
Und die Nacht ringt noch
Mit der Dämmerung
Um euren Schleier.
Er schläft –
Und die Stille herrschet noch nicht.

Losgewunden
Vom Kummer der Liebe
Und ihrem belebenden Entzücken
Umschweben ihn Träume des Friedens
Und der stillen Ruhe,
Die so gern
Die Herzen der Unempfindlichen beglückt. –

Er schläft
Und denkt meiner nicht mehr
In seinen süßen Träumen.
Ach, meine Thränen
Stören seine Ruhe nicht. –

Mond! und ihr prangenden Sterne!
Geht in eure Kammern
Auf ewig.
Nacht! tritt auf immer
Aus deiner schwarzen Halle
Und du, Morgenröthe!
Lausche nie wieder
Den Küssen der Liebe.

Er schläft –
Und meine Thränen
Stören seine Ruhe nicht.

An den Mond (1783) von Sophie Albrecht beschreibt zunächst den Beginn einer nächtlichen Szenerie. Der Abend neigt sich dem Ende zu und steht an der „Schwelle“ (S. 1, V. 3) zur Nacht. Der Mondschein fällt in das Zimmer des lyrischen Ichs („Was siehest du so verwundernd In mein ödes Zimmer?“ S. 2, V. 1,2.), welches die Sternenbilder am Himmel („Sirius“, S. 3, V 1) betrachtet und sich ihrer Liebe bewusst ist: „Und der Stern der Liebe Glänzt noch in junger Schöne“ (S. 3, V. 3,4).

Wie der Titel verrät, ist das Gedicht an den Mond gerichtet. Das lyrische Ich spricht zudem von einem männlichen Geliebten („Er“, S. 4, V. 3), so dass das lyrische Ich als weiblich identifiziert werden kann.

In dem Moment, in dem sie von ihrem Geliebten zu erzählen beginnt, nämlich in Strophe 4, spricht sie in der Vergangenheitsform, „schalt“ (V. 5), „lauschte“ (V. 6), „wachte“ (V8), „schlosset“ (V. 9), im weiteren Verlauf ist seine Präsens jedoch gegenwärtig, „Er schläft schon!“ (S. 5, V. 1). Der Wechsel von Vergangenheitsform und Gegenwart ergibt sich hier jedoch nicht aus dem Hinzukommen des Geliebten, sondern aus der Erinnerung des lyrischen Ichs an vergangene nächtliche Stunden. Die Präsenz des Geliebten beschreibt vielmehr den „Kummer der Liebe“ (S. 6, V. 2), der ihr noch verbleibt, während „Er“  schon „schläft“, also die Liebe zu ihr bereits überwunden oder gar vergessen hat. Der anhaltende Liebeskummer des lyrischen Ichs, die Unruhe in ihrem Inneren und somit die Gedanken an ihn und ihre gemeinsamen Nächte, kommt in Strophe 5, Vers 7, zum Ausdruck, wenn sie erklärt: „Und die Stille herrschet noch nicht.“ Dass er sie hingegen bereits vergessen hat, wird deutlich, wo er „Losgewunden Vom Kummer der Liebe“ (S. 6, V. 1,2), von „Träume[n] des Friedens Und der stillen Ruhe“ (S. 6, V. 4,5) „umwschwebt“ (ebd.) wird, die ihn nur aufgrund seiner Unempfindlichkeit „beglück[en]“ (S. 6, V. 7) und findet Betonung in Strophe 7, Vers 2: „Und denkt meiner nicht mehr“.

Die Einsamkeit des lyrischen Ichs wird in der Ansprache an „Artemis“ ( S.4, V.1), der Hüterin der Frauen, kundgetan („Findest du mein Zimmer einsam!“, ebd. V. 2) und wird durch die Gegenüberstellung des „Käuzlein […] in seiner Höhle“ (S. 1, V. 6) in Verbindung mit dem „öde[n] Zimmer“ (S. 2, V.2) des lyrischen Ichs und den endlosen Weiten des dunklen Himmels („Nacht“, S. 1, V. 2; „Sirius“, S. 3, V. 1; „Sterne“, S. 4, V. 3; „Mond“, S. 8, V. 1) verstärkt. Indem das lyrische Ich der griechischen Göttin ihr einsames Leid klagt, gibt sie ihre Selbstbestimmung auf und legt ihr Liebesglück in die Hände höherer Mächte.

Wenn die „Nacht ihre Hallen“ (S. 1, V. 1) öffnet, wird deutlich, dass die Dunkelheit für das lyrische Ich eine Weite freigibt, die ihr am Tage verwehrt bleibt, zum Beispiel durch gesellschaftliche Konventionen. Doch weil die Nacht für das lyrische Ich auch „Thränen“ (S. 7, V. 4) über die vergangene Liebschaft bereithält, ruft sie in Strophe 8, Vers 4 und 5 die Nacht bittend an, „auf immer Aus [ihrer] schwarzen Halle“ zu treten. Und auch die „Morgenröthe“ (S. 8, V. 6), die ihr Geliebter in der 4. Strophe, Vers 5 noch wegen des anbrechenden Tages „schalt“, bittet sie nun, „Den Küssen der Liebe“ (S. 8, V. 8) nie wieder zu lauschen. Der implizite Wunsch, diesen Kummer nicht mehr ertragen zu müssen, kommt hier zum Ausdruck.

Sophie Albrecht,  Kupferstich nach Anton Graff
Sophie Albrecht (Kupferstich von Christian Gottlieb Geyser nach Anton Graff)

Sophie Albrecht wird im Dezember 1757 als Johanna Sophie Dorothea Baumer in Erfurt geboren. 1771 heiratet sie Johann Friedrich Ernst Albrecht, einen ehemaligen Medizin-Studenten ihres Vaters, welcher sich später ebenfalls der Schriftstellerei widmet.

Im Jahr 1776 zieht das Ehepaar Albrecht nach Reval, wo Johann eine Stelle als Leibarzt erhält. Sophie unternimmt in dieser Zeit mehrere Reisen nach Russland, einige allein, einige zusammen mit ihrem Mann, bevor das Paar 1780 wieder nach Erfurt zurückkehrt. Im Jahre 1781 erscheint dann Sophies erstes schriftstellerisches Werk Theresgen. Ein Schauspiel mit Gesang, auf das weitere Schauspiele, Geschichten und Gedichte folgen.

Fortan kann Sophie sich als Schauspielerin etablieren. Mit ihrem erfolgreichen Schauspieldebüt am Theater in Frankfurt am Main begeistert sie dabei nicht nur die Zuschauer, sondern auch den anwesenden Friedrich Schiller. Aus der Begegnung entwickelt sich eine Freundschaft, im Zuge derer Sophie, Johann und Friedrich Schiller einige Zeit zusammen in Leipzig verbringen und Sophies Lyrik in Schillers Zeitschrift Thalia veröffentlicht wird.

Noch im Jahr 1785 erhält Sophie einen Vertrag als Schauspielerin und ist in Leipzig, Dresden und Prag tätig. Ihre Freundschaft mit Friedrich Schiller pflegt sie weiterhin und spielt unter anderem die Prinzessin Eboli in dessen Drama Don Karlos. 1795 zieht Sophie in die damals noch dänische Stadt Altona, wo sie und Johann die Wiedereröffnung des Altonaer Nationaltheaters ermöglichen. Zudem nimmt sie eine führende Position in einer Schwesternloge der Freimaurerloge Carl zum Felsen, an. Auch als Schriftstellerin und als Schauspielerin wird Sophie weiterhin gerne gelesen und gesehen.

1798 lässt sich Sophie von Johann scheiden, wohl für ihren langjährigen Geliebten, Leutnant von Hahn, den sie noch im selben Jahr ihrer Scheidung heiratet. Von Hahn verstirbt jedoch bereits nach kurzer Zeit und Sophie kehrt zu Johann zurück; sie heiraten ein zweites Mal. Im Jahr 1814 verstirbt Johann. Sophies Karriere neigt sich dem Ende zu, so dass sie sich den Lebensunterhalt mit Gelegenheitsdichtungen, als Wäscherin und Dienstbotin verdient, bis sie am 16. November 1840 im Alter von 83 Jahren in einem Armenhaus in Hamburg verstirbt.

Sophie Albrecht gilt als erfolgreichste Schauspielerin ihrer Zeit. Zeitgenossen beschreiben ihr Wesen als mutig, standhaft und besonders durchsetzungsfähig. Zu ihrem literarischen Werk zählen Gedichte, Dramen, Räuber- und Schauergeschichten, die insgesamt häufig von Liebessehnsucht, enttäuschter Liebe und daraus resultierender Todessehnsucht getragen werden.

Bildquelle: Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Sophie_Albrecht), gemeinfrei