Haus der deutschen Sprache
Deutsch im Ausland

Deutsch ist weltweit verbreitet

Bei mehrsprachigen Beschriftungen in Museen im Ausland vermisst man nicht selten die deutsche Sprache. So fehlte Deutsch zum Beispiel in einer mehrsprachig beschrifteten Ausstellung in Paris, ausgerechnet über die Brüder Humboldt (2014). Als ich bei der Ausstellungsleitung vorsichtig nach dem Grund fragte, erwidert man mir (etwas unwillig), dass Deutsch eben „keine Weltsprache“ sei. Diese Einschätzung ist auch unter Muttersprachlern des Deutschen verbreitet und, wie es scheint, oft tief verinnerlicht.

Ein Indiz dafür ist die häufig bevorzugte Sprachwahl deutscher Touristen, die im Ausland auch dann oft notorisch Englisch sprechen, wenn ihnen die Gastgeber auf Deutsch begegnen. Über solche Sprachwahl wurde mir zuverlässig aus verschiedenen Ländern berichtet, zum Beispiel aus Dänemark, Polen und Tschechien. Fragt man Deutsche – in gebotenem verständnisvollen Ton – nach Gründen für den Verzicht auf die eigene Sprache, so wird nicht selten geantwortet, dass Deutsch ja nur eine Regionalsprache sei, die man den Nachbarn ebenso wenig aufzwingen dürfe, wie diese ihre Sprache auch nicht den Deutschen. Diese sprachliche Rücksicht ist zweifellos sympathisch, vor allem beim Gedanken an nicht weit zurückliegende Zeiten deutscher Geschichte. Jedoch beruht solche Rücksicht vielleicht auch auf einer verzerrten Sicht der – noch immer aktuellen – „globalen Sprachenkonstellation“, so die fachliche Bezeichnung. Zwar hat Englisch darin heute die überragende Stellung als weltweit vorherrschen-de Lingua franca, also bevorzugte Kommunikationsbrücke zwischen Personen unterschiedlicher Muttersprache. Jedoch bedeutet diese Bevorzugung keine absolute Dominanz. Vielmehr kann in manchen, zugegeben selteneren und speziellen Situationen auch eine andere Sprache die Brückenfunktion übernehmen und dafür sogar angemessener sein als Englisch. Die Zahl der Sprachen auf der Welt wird oft auf 7000 oder mehr geschätzt, auch weil dabei Dialekte wie eigenständige Sprachen mitgezählt werden. Zum Beispiel nennt der Ethnologue, die weltweit umfassendste Sprachensammlung, für Deutschland „Kölsch“, „Pfaelzisch“, „Swabian (Schwäbisch, Suabian, Schwaebisch)“, „Saarländisch“ usw., also (zweifelhaft spezifizierte) Dialekte als „languages“ (=Sprachen; 15. Aufl. 2005: S. 538f.). Erst recht vernachlässigt er die Stellung oder Funktion, besonders den für unser Thema wichtigen Unterschied zwischen „internationalen“ und „nicht internationalen Sprachen“.

Dieser Unterschied ist im vorliegenden Zusammenhang deshalb bedeutsam, weil Deutsch nach wie vor zu den internationalen Sprachen zählt, zusammen mit mehreren anderen Sprachen, allerdings alle im Internationalitätsrang weit hinter Englisch. Ich beschränke mich hier auf die Zweiteilung international – nicht international, weil differenziertere Abstufungsgrade für die Kürze dieses Beitrags zu kompliziert wären. Die Berechtigung der Unterteilung wird jedoch einsichtig, wenn man Deutsch als internationale Sprache mit den genannten Beispielen von Dänisch, Polnisch oder Tschechisch vergleicht, die zumindest in deutlich geringerem Maße international sind. Gemeint ist damit vor allem, dass Deutsch weltweit häufiger als Fremdsprache gelernt wird und – trotz Zurückhaltung der Muttersprachler – bei Verschiedensprachigkeit eher als Kommunikationsbrücke dient. Dieser – linguistisch gesehen – äußerliche Unterschied bedeutet keinerlei sonstige Abwertung anderer Sprachen, zum Beispiel bezüglich struktureller Qualität. Neben dem weltweit vorherrschenden Englisch werden vor allem folgende Sprachen auch heute noch in vielen Ländern als Fremdsprachen gelernt (alphabetisch geordnet): Chinesisch, Deutsch, *Französisch, Italienisch, Japanisch, *Russisch, *Portugiesisch und *Spanisch. Vier Sprachen habe ich mit Asteriskus markiert, weil ihre internationale Stellung leicht für bedeutender gehalten wird, als sie ist. Sie erwecken diesen Eindruck aufgrund von Sprachkarten mit Einfärbungen der „Sprachgebiete“. Diese sind bei den asteriskus-markierten Sprachen groß, weil die Muttersprachen auf später erworbene Kolonien ausgedehnt und dort dann als staatliche Amtssprachen installiert wurden. Das Chinesische, mit ebenfalls riesigem Gebiet, habe ich wegen seiner besonderen Geschichte nicht entsprechend markiert, und das Arabische hier wegen vorrangig religiöser Funktion nicht einbezogen. Die genannten acht Sprachen spielen hinsichtlich weltweiten Erlerntwerdens als Fremdsprachen in derselben Liga, bei kleinen Rangunterschieden.

Mangels kolonialpolitischer Ausbreitung der deutschen Sprache – nach dem Ersten Weltkrieg wurden alle Kolonien Deutschlands von den Siegermächten akquiriert – ist Deutsch heute als staatliche Amtssprache auf Mitteleuropa eingeschränkt. Genauer auf sieben mitteleuropäische Staaten, nämlich als nationale Amtssprache auf Deutschland, Österreich, Liechtenstein, die Schweiz (dort 3 nationale Amtssprachen und die amtliche Landessprache Rätoromanisch) und Luxemburg (dort 3 nationale Amtssprachen) sowie als nur regionale Amtssprache auf Belgien (Deutschsprachige Gemeinschaft im Osten) und Italien (Provinz Bozen-Südtirol). Diese auf Sprachkarten vielfach veranschaulichte geographische Beschränkung (siehe Karte 1) prägt nachhaltig das Image von Deutsch als nur regionale Sprache. Es wird noch verstärkt durch das Selbstbild der Deutschsprachigen von ihrer Sprache und dem häufigen Verzicht auf den Gebrauch bei internationalen Begegnungen. Allerdings liegen für diesen Gebrauchsverzicht bislang nur Einzelbeobachtungen vor und mangelt es an umfassenden Untersuchungen – übrigens ein Indiz dafür, dass sich die zuständige Wissenschaft, die germanistische Linguistik, mit dieser „Schicksalsfrage“ der deutschen Sprache bisher wenig befasst hat.

Jedoch ist das weltweite Erlernen von Deutsch als Fremdsprache gründlich belegt, durch vom Auswärtigen Amt Deutschlands angeregte, meist vom Goethe-Institut geleitete Erhebungen, zuletzt vom Netzwerk Deutsch im Jahr 2015. Dort ist solches Lernen für 128 Länder dokumentiert. Dabei zeigt der Vergleich mit früheren Zahlen sogar wieder einen Anstieg: von 14,9 Mio. Lernern im Jahr 2010 auf 15,4 Mio. im Jahr 2015. Karte 2 veranschaulicht die weltweite Verteilung; für 2015 konnte ich noch keine Karte erstellen lassen. Vielerlei jüngste Meldungen lassen sogar den weiteren Anstieg vermuten. Dieses Lernen ist für die Stellung der deutschen Sprache in der Welt von großer Bedeutung. Man bedenke nur, dass die Lerner von Deutsch als Fremdsprache (DaFler) die Gesamtzahl der Deutsch-Könner erhöhen, trotz vielfacher Beschränkung von Kenntnisniveau und Gebrauchshäufigkeit.

Vielleicht ist die Schätzung auf eine Verdoppelung der Gesamtsprecherzahl, zumindest der entsprechenden Wirkung, summa summarum einigermaßen realistisch. Dann kämen zu den gut 100 Mio. Muttersprachlern vielleicht weitere 100 bis 150 Mio. Fremdsprachler, mindestens mit Grundkenntnissen, hinzu (bei Einbeziehung der Generationen, die einmal Deutsch als Fremdsprache gelernt haben, abzüglich der späteren Verlerner – wofür allerdings keinerlei zuverlässige Zahlen vorliegen). Aber können uns solche, ohnehin nur grob geschätzte Zahlen von DaFlern nicht völlig egal sein: den Muttersprachlern ebenso wie den Zweitsprachlern (die Deutsch erst nach anderen Sprachen gelernt haben, aber es regelmäßig gebrauchen, meist in deutschsprachiger Umgebung)? Keineswegs! Denn einerseits haben die Fremdsprachenlerner einen selbstverstärkenden Effekt auf die Stellung einer Sprache in der Welt: Häufig gelernte Sprachen ziehen weitere Lerner an, wie schon Sprachen mit vielen Sprechern zum Erlernen motivieren. Allerdings bedarf eine solche Wirkung weiterer Faktoren, die im Falle der deutschen Sprache nachdrücklich vorliegen: nämlich vor allem ein bedeutendes wirtschaftliches Gewicht der Mutterländer, möglichst verbunden mit politischer Stabilität. Diesbezüglich finden sich die deutschsprachigen Länder, bei aller Beschränkung auf Mitteleuropa, in ausgezeichneter Verfassung. So rangiert die Wirtschaftskraft der Muttersprachler des Deutschen, trotz ihrer relativ beschränkten Zahl, an vierter oder fünfter Stelle aller Sprachen, übertroffen nur von Englisch, Chinesisch, Japanisch, aber ungefähr gleichrangig mit Spanisch. Deshalb sind gute Verbindungen zu den deutschsprachigen Ländern aufgrund von Sprachkenntnissen attraktiv. Sie eröffnen vielversprechende wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Kontakte (Investitionen, Handel, Weiterbildung durch Studien, Praktika, Stipendien usw.). Solche Möglichkeiten, die sich in der Welt herumsprechen, stärken auch den Willen zum Spracherhalt unter Auswanderern und Expatriates aus den deutschsprachigen Ländern oder sogar in den deutschsprachigen Minderheiten. Auch von Letzteren gibt es weltweit eine beträchtliche Zahl: nicht nur in europäischen Nachbarländern sondern auch in Übersee, zum Beispiel in Namibia (einer ehemaligen deutschen Kolonie) und in religiös zusammenhaltenden Sprachinseln (vor allem Mennoniten), in mehreren Ländern Nord-, Mittel- und Südamerikas.

Die Vorteile der weiten Verbreitung einer Sprache, ihrer starken internationalen Stellung für die Muttersprachler und ihrer Länder sind leicht erkennbar – wenn-gleich wiederum bisher nur unzureichend erforscht. Die DaFler und auch manche Angehörigen von Minderheiten sind vielfach hilfreiche Ansprechpartner und Türöffner für Deutschsprachige im Ausland, nicht zuletzt für Wirtschaftskontakte und Niederlassungen deutscher Firmen, ebenso für wissenschaftliche und kulturelle Begegnungen. Sie sind auch, in umgekehrter Richtung, leicht integrierbar als Zuzügler in die deutschsprachigen Länder – im Gegensatz zu Personen ohne Deutschkenntnisse. Für viele ins Ausland reisende Deutschsprachige sind dort vorhandene Deutschkenntnisse eine große Hilfe: für Politiker, Wirtschaftsfachleute, Wissenschaftler und nicht zuletzt auch Touristen. Im Hinblick darauf ist ein wohl abgewogener Umgang mit der eigenen Sprache von beträchtlicher Bedeutung auch für alle Deutschsprachigen. Dessen sich bewusst zu sein, ist vielleicht beim heutigen Kenntnisstand der Verhältnisse hilfreicher als die – letztlich schwierige – Formulierung strenger Regeln. Abstoßend wirken kann jedoch ein Umgang mit Sprache, vor allem eine Sprachwahl, die den Eindruck von Sprachchauvinismus, Xenophobie oder sonstiger Rücksichtslosigkeit macht. Zu dessen Vermeidung gehört zum Beispiel einerseits die Achtung stellungsschwächerer Sprachen (zum Beispiel durch Bemühung um zumindest symbolischen Gebrauch in Begegnungsgrüßen und dergleichen), aber auch von gleichrangigen Sprachen, deren Gebrauch – bei vorliegen-der Kenntnis – akzeptiert werden sollte, wie auch schließlich die Anerkennung von Englisch als in vielen Situationen geeignete Sprachwahl. Dazu gehört auch die Akzeptanz zumindest von schon eingebürgerten Anglizismen. Allerdings ist die fraglose Unterwerfung unter die Dominanz von Englisch der Stellung der deutschen Sprache in der Welt abträglich und für ihre Sprecher und Lerner auf Dauer nachteilig. Wo es ohne Verletzung von Beteiligten möglich ist und von ihrer Seite her erkennbar akzeptiert oder sogar gewünscht wird, sollte Deutsch gebraucht werden, auch für internationale Kontakte, notfalls mit Übersetzungs- oder Dolmetschhilfen; in Gruppen genügt oft informelles Flüsterdolmetschen. Eine grobe allgemeine Leitlinie könnte lauten: „Rücksichtsvolle Bemühung um den Erhalt von Deutsch, auch für internationale Kommunikation“.

Ulrich Ammon

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